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Des Schicksals wilde Launen - Charstory Ylenavei

Begonnen von Ylenavei, 27. April 2009, 19:29:12

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Ylenavei

(Backup vom Herbst 2005)

Still ist die Nacht, die Luft ist kühl. Ein scharfer Wind streicht über See und Land, treibt Nebelstreifen vor sich her. Bleich fällt das Mondlicht in den Sand - und leise singt das Meer...

Mit klammen Händen wickelte Ylenavei sich fester in ihren wollenen Umhang. Der raue
Nachtwind zerrte unablässig an ihrer Kleidung, griff nach der Kapuze und den Haaren
darunter. Dünne Nebenlschleier zogen vor einem klaren Sternenhimmel dahin, vorbei am zunehmenden Mond, dessen schwaches Licht im Dunst noch fahler schien als sonst. In dieser Jahreszeit mochte ein klarer Himmel bereits eine frostig kalte Nacht verheißen, doch Ylenavei, tief in Gedanken versunken, nahm in diesem Augenblick weder den schneidenden Seewind, noch die klamme Feuchtigkeit, welche der Nebel mit sich brachte, wirklich wahr.

Die junge Waldelfe saß auf einem dicken, knorrigen Ast, einem stattlichen Stück Treibholz, das einst von den Wogen einer Sturmflut an das Steilufer geworfen und dort zwischen den Felsen verkeilt zurückgelassen worden war. In hilfloser Schräglage über den Klippen aufragend war er das Relikt eines wahrhaft mächtigen Lebewesens, gebrochen durch den Sturm der Zeit, verloren zwischen den Launen der Elemente. Die teils grotesken Windungen des Holzes schienen sich ihrem Körper anpassen zu wollen, wenn Ylenavei über ihre leicht angezogenen Knie hinweg auf das Meer hinaussah und die sich unablässig kräuselnden Wellen beobachtete.

Seit sie diesen Aussichtsplatz vor einigen Tagen entdeckt hatte, zog es sie immer aufs Neue dorthin zurück. Vielleicht war es jene natürliche Nähe, die das Holz ihr auf seine so eigentümliche Weise darbot, welche diesem Ort seine Bedeutung verlieh, vielleicht war es auch das Schicksal, welches jener Ast und die Elfe darauf in gewisser Hinsicht teilten. Nach einer ziellosen Irrfahrt durch unberechenbare Wogen an einer fremden Küste gestrandet; diese Beschreibung mochte auf sie beide zutreffen. Doch während Ylenavei dieses Ufer erst vor weniger als einem Zehntag erreicht hatte, mochte wohl niemand sagen können, wie lange der Ast bereits dort lag.

Es war nicht die erste Küste, an welcher ihr kleines Schiff während der letzten endlosen Monde gelandet war, aber nach all jenen kurzen Landgängen waren diese Gestade die Ersten gewesen, deren Wälder und Ebenen in ihrer Seele sangen, der Entwurzelten endlich das vage Gefühl gaben, daheim zu sein.

Daheim... alles hatte so leicht gewirkt, an jenem Tag, als Ylenavei das Land gefunden hatte, als das goldene Sonnenlicht durch die Zweige der mächtigen Bäume brach und ihr Lied mit Glanz und Wärme füllte. Dieser Teil der Welt barg so viele Wunder, die darauf warteten, enthüllt zu werden, und wirkte so einladend, dass die junge Waldelfe keinen Augenblick gezögert hatte, es zu erkunden. Obgleich sie sie nie zuvor gesehen, geschweige denn davon gehört hätte, waren die weitläufigen Gehölze ihr vom ersten Tag an auf gewisse Weise vertraut gewesen, und so hatte es Ylenavei kaum überrascht, tief verborgen zwischen uralten Eichen eine Waldelfensiedlung vorzufinden.

Doch so vielversprechend sich das neue Land ihr zeigte, so war diese mögliche neue Heimat auch zu dem Ort geworden, an welcher die Vergangenheit die junge Elfe einholte, eine Vergangenheit, welche sie, wie sie sich nun eingestehen musste, seit zahllosen Monden aus ihrem Gedächtnis zu verbannen gesucht hatte. Zu sehr glich das neue Land der Insel Quellhain, auf welcher Ylenavei lange Zeit eine Heimat gefunden zu haben glaubte, zu sehr erinnerte das Lied der Bäume an den Klang jener Wälder, die als die Ältesten der Welt galten, bis sie von eisigen Klauen dem Reich der Lebenden entrissen worden waren...

Mond für Mond hatte die rastlose Waldelfe versucht, jene Geschehnisse in Quellhain zu vergessen, jenen Ort, verschlungen vom gnadenlosen Strudel des Schicksals, endgültig hinter sich zu lassen. Aber je näher sie einer neuen Heimat gekommen war, desto dichter waren die gemiedenen Erinnerungen an die Oberfläche ihrer Seele gerückt. Schließlich hatte eine nahezu unglaubliche Begegnung - nein, eigentlich waren es bereits drei Begegnungen - dazu geführt, dass die Wunder Quellhains samt ihrem furchtbaren Ende in einem einzigen Augenblick zurückgekehrt waren. Die Wälder der heiligen Quelle, die entsetzliche Macht des Thar'Sharragh, und Farhedrel, ihr geliebter Farhedrel, waren unvorbereitet über Ylenavei hereingebrochen, und hatten das, was von ihrem inneren Gleichgewicht geblieben war, vollends zerrissen.

Auf die Konfrontation mit den sengenden Flammen der Vergangenheit war eine kalte Nacht gefolgt. Doch in Ylenaveis Innerem loderten nach wie vor die Erinnerungen und tanzten unablässig ihren Reigen, während die junge Waldelfe auf ihrem Aussichtsplatz an der Steilküste kauerte, und ihr Blick sich auf den Wellen verlor. Ihre Seele irrte in den Wirren ihrer Vergangenheit umher, und die Elfe nahm das Treiben der Elemente der Gegenwart kaum mehr wahr, während die letzten Zyklen ihres Lebens vor ihrem inneren Auge erneut Gestalt annahmen.

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Ylenavei hatte auf der Insel der Zuflucht, ihrem Geburtsort, 58 Winter gesehen, als jener geheimnisvolle Ruf in ihrem Herzen überhand genommen hatte. Quellhain, die alte Heimat, der Ursprung allen Lebens, hatte seit Jahren ihren Namen gerufen, und mit jedem neuen Tag war die junge Elfe mehr von jenem geheimnisvollen Land erfüllt gewesen, das zu sehen sie so sehr verlangte. Doch nur wenige wurden so sehr von diesen vagen Gefühlen überwältigt, dass sie die Sicherheit ihrer Insel aufgaben, um den Ort ihres Ursprungs zu suchen. So hatte auch Ylenavei allein das Schiff bestiegen, welches von Zeit zu Zeit zwischen der Insel der Zuflucht und Quellhain verkehrte, um den rastlosen Seelen eine sichere Überfahrt zu ermöglichen.

Quellhain, die uralte Heimat ihres Stammes, hatte die junge Waldelfe bis zum Tag ihrer Ankunft an seinen Ufern einzig in den Erzählungen der Alten kennengelernt. Ihre Großmutter, die bereits mehrere Jahrtausende gesehen hatte, vermochte die Wälder der heiligen Quelle noch aus eigenen Erinnerungen heraus beschreiben, Sie war dort geboren und nach bitteren Kriegen gegen vernichtende Mächte mit einem Großteil des Stammes aufs Meer hinaus geflohen. Doch die Quelle alles Lebendigen, deren gesegnete Fluten der Legende nach in jenen herrlichen Wäldern entsprangen, rief unablässig nach ihren verlorenen Kindern, und selbst unter den Nachkommen der Flüchtlinge verspürten viele ein vages Verlangen nach ihrer unbekannten Heimat.

Auch Ylenavei war die Natur dieses Rufens anfangs schleierhaft gewesen, als sie ihrem Herzen in ein fremdes Land gefolgt war, das für sie bislang nur in Geschichten existiert hatte. Jedoch hatte es nicht lange dauern sollen, bis die Geheimnisse der Wälder von Quellhain sich der jungen Waldelfe so vollständig offenbarten, wie sie zuvor nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Ylenavei hatte sich stets ein Leben als Kunsthandwerkerin ausgemalt, die sich voll und ganz der Herstellung von filigranem Geschmeide und anderen solchen Dingen widmete, und mehr ein halbes Jahrhundert hatte eine Gabe tief in ihrer Seele geschlummert, welche auf der Insel der Zuflucht niemand dort vermutet hätte.

Selbst als die uralten Bäume des Quellhains sich am Morgen ihrer Ankunft über ihr erhoben, und sie das Lied des Lebens so deutlich vernahm, dass sie damit völlig zu verschmelzen meinte, glaubte die junge Frau, dass es jedem Waldelfen so erginge, wenn er in diese Gefilde heimkehrte. Doch an einem schicksalhaften Abend, kaum einen Zehntag nachdem sie Quellhain zum ersten Mal betreten hatte, hatte der Auftrag eines todkranken beseelten Baumes sie direkt zur heiligen Quelle des Lebens geführt.

Wenngleich die Quelle an jedem Ort, an dem es Leben gibt, allgegenwärtig ist, sagen die Waldelfen über Quellhain, dass dort zur Zeit der Entstehung der Welt das erste Leben geboren worden sei, als das heilige Wasser dort die nackte Erdoberfläche durchbrach, um fortan vollkommen in allem Lebendigen aufzugehen. An jenem Ort traf Ylenavei auf eine uralte Frau ihres Volkes, welche schon seit Jahrtausenden über die Quelle gewacht hatte und die Macht des heiligen Wassers in atemberaubendem Umfang zu beherrschen wusste. Die geheimnisvolle Druidin vermochte zu bewirken, dass die Quelle des Lebens für kurze Zeit eine greifbare Form annahm und die Welt gleich einem fröhlichen Springbrunnen mit funkelndem, klaren Wasser speiste.

Ylenavei erfuhr am Rande dieses Brunnens, dass ein solch offenes Gehör für das Lied der Bäume wie das Ihre selbst unter Waldelfen unüblich war, und nur sehr wenige je erleben durften, dass ein Baum mit Worten zu ihnen sprach. Sie erkannte, dass ihre Seele mit den Geschöpfen der Natur eng verbunden war und ihr Los unabänderlich an das Geschick der Welt geschmiedet war. Das Schicksal führte die junge Elfe noch mehrere Male an die heilige Quelle des Lebens, und mit jedem Besuch wurde ihr ein weiterer kleiner Teil des Weges offenbar, welchen die Natur für sie vorgesehen hatte.

Doch Quellhain hatte Ylenavei nicht nur ein großes Geheimnis ihres eigenen Wesens
aufgezeigt, es war ebenso der Ort gewesen, an welchem sie die glücklichsten Tage ihres bisherigen Lebens verbracht hatte. Bereits am ersten Tag nach ihrer Ankunft war sie Farhedrel begegnet, einem sanftmütigen Waldläufer mit unglaublich klaren, wasserblauen Augen, in welchen alles vor ihr lag, wonach ihr Herz je verlangt haben mochte. Geradezu auf den ersten Blick hatten sie sich zueinander hingezogen gefühlt, und schnell war aus einer wunderbaren Freundschaft eine Liebe erwachsen, die über jede Macht der Welt erhaben schien.

Gemeinsam stellten sie sich der schier erdrückenden Bedrohung ihrer Heimat, als Thar'Sharragh, ein uralter Dämon aus einem längst vergangenen Zeitalter, welcher seine Zeit auf unbekannte Art und Weise überdauert hatte, in Quellhain und den nahen Städten der Menschen und Zwerge erschien und bei zahlreichen Überfällen seine entsetzliche Macht demonstrierte. Im Kampf gegen seine Diener ließen Farhedrel und Ylenavei ihre Bögen im Duett singen, und das stetig wachsende Band zwischen ihren Herzen wurde ihnen zum Symbol eines nicht zu brechenden Widerstands gegen die schier unerreichbare Macht des Thar'Sharragh.

In Zeiten der Ruhe zwischen den überfallartigen Angriffen verwendete Ylenavei große Mühe darauf, den Quellhain benachbarten Völkern die wahre Bedrohung, welche mit von jenem Dämon ausging, darzulegen und sie zu einem Bündnis für den Kampf zu bewegen, nachdem die Wächterin der Quelle der jungen Waldelfe in ihren Träumen eine furchterregende Zukunftsvision gesandt hatte. Während die Verhandlungen mit den Zwergen erstaunlich schnell Früchte trugen, mussten noch viele Monde ins Land gehen, bis auch die Menschen von Wehreburg einem Dreivölkerbund beitraten.

Thar'Sharragh verschwand, kaum dass der Dreibund geschlossen war, und ward lange Zeit nicht mehr gesehen. Jene Tage, die nun folgten, waren die erquicklichste Zeit, die Ylenavei bisher erlebt hatte. Während die junge Waldelfe von der alten Wächterin der Quelle tiefere Einsicht in das Wesen der lebendigen Dinge erhielt, wuchs ihre Liebe zu Farhedrel mit jedem neuen Sonnenaufgang.

Schließlich war es eine grausame Wendung des Schicksals, welche Ylenavei unwillkürlich nach der heiligen Quelle greifen und ihre Macht für einen kurzen Augenblick lenken ließ. Niemals würde sie jenen Tag vergessen, an dem sie, alarmiert durch Blutspuren auf dem Pfad ins Dorf, Farhedrel vor seinem Haus gefunden hatte,aus mehreren schweren Pfeilwunden blutend, dem Tode nahe. Überwältigt von der Angst, ihren Liebsten unwiederbringlich zu verlieren, hatte die junge Elfe sich mit jeder Faser ihres Daseins an das verlöschende Leben geklammert, und das Wasser des Lebens hatte seinen Fluss geändert, war aus ihren Händen hinaus in den sterbenden Körper geströmt, um ihn mit Leben zu füllen. Die rettende Verbindung aber wurde noch im gleichen Augenblick durch die schiere Macht des unkontrollierten Stromes zerrissen. Doch jener winzige Moment, in welchem das Leben aus Ylenaveis Händen gedrungen war, hatte genügt, um den Heilern Quellhains zu ermöglichen, den verwundeten Waldläufer ins Reich der Lebenden zurück zu holen.

In den folgenden Wochen, während sie ihren Liebsten hingebungsvoll pflegte, und lange darüber hinaus, suchte die junge Waldelfe unablässig nach Wegen, ihre geheimnisvolle Fähigkeit kontrollierter und ohne Gefährdung ihrer selbst oder ihrer Umgebung einzusetzen. Es sollte noch mehr als ein Jahr ins Land gehen, bevor Ylenavei endgültig begreifen sollte, dass es sich dabei um die lebenspendende und -erhaltende Macht der alten Druiden handelte, denn das Schicksal wollte, dass außer der geisterhaften alten Wächterin in jenen Tagen kein weiterer Druide in Quellheim weilte, welcher sie sein Handwerk hätte lehren können.

Der Sommer in Quellhain war nicht mehr jung, als Farhedrel, inzwischen vollkommen genesen, und Ylenavei sich entschlossen, das Band ihrer Liebe nach altem Brauch ihres Volkes durch den Bund der Ehe zu bestätigen. Die Wächterin der Quelle zelebrierte das Trauritual an einem wunderschönen Abend im Spätsommer, und in Quellhein wurde ein Fest gefeiert, wie es dort lange keines mehr gegeben hatte.

Kaum einen Zehntag später war der Herbst mit seinen Stürmen gekommen, und auf ihn waren der Winter und ein weiterer Sommer gefolgt, während welchem das Leben in Quellhain von Frieden und Glück bestimmt worden war. Doch als der Kreis des Lebens sich nach der Trauung Ylenaveis und Farhedrels geschlossen hatte, hatte sich jener Schatten über das Land gelegt, den die junge Druidin so sehr zu vergessen gesucht hatte. Der Herbst war früher als gewöhnlich über das Meer gekommen, und anhaltende Unwetter hatten einen schweren Winter angekündigt, einen Winter, der nicht wieder hatte enden sollen.

Mit Frost und Schneestürmen war Thar'Sharragh zurückgekehrt, und mit ihm waren die kaltherzigen Kreaturen des Nordens gekommen, die wärmeren Gefilde der Insel zu überrennen. Innerhalb weniger Zehntage hatte sich gezeigt, dass selbst der Dreivölkerbund Schnee und Eis und zahllosen kristallenen Pfeilen kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Zu grausam war die bittere Kälte, zu unbeugsam war das Heer der Feinde gewesen. Die Entschlossenheit der Verteidiger war jedoch erst an jenem schwarzen Tag gebrochen, als die Wächterin eingestand, dass ihre Macht nicht einmal mehr ausreichen würde, um sich selbst, und damit die Quelle des
Lebens, vor dem eisigen Griff des Thar'Sharragh zu schützen.

Auf Anraten der alten Waldelfe hatten die Überlebenden sich schließlich in ihre eigenen Heimatorte zurückgezogen, um Schiffe zu zimmern, welche ihnen die Flucht von der zum Untergang verdammten Insel ermöglichen würden. Unter widrigen Bedingungen hatten die Waldelfen in Quellhain eine behelfsmäßige Werft eingerichtet, und ein jeder, der auch nur einen winzigen Beitrag zu leisten vermochte, war unermüdlich an den Arbeiten beschäftigt gewesen. Indes hatte die Wächterin der heiligen Quelle all ihre verbliebenen Kräfte aufgewandt, um ihren Schützlingen den Rücken frei zu halten. Dennoch war die Arbeit wieder und wieder von kleineren Angriffen aufgehalten worden.

Am letzten Tag in der Geschichte Quellhains, jenem Tag, welcher Ylenavei heute noch in Entsetzen schaudern ließ, hatten schließlich vier kleine Schiffe am Ufer des Dorfess vertäut gelegen, die Segel gerafft, doch abfahrbereit. Sie hatten es geschafft, und der Fluchtweg hatte offen vor ihnen gelegen. Doch gleich einer Ironie des Schicksals war an jenem Morgen der mächtigste Schneesturm über Quellhain hereingebrochen, den das Land in diesem Zeitalter gesehen hatte, und mit dem Schnee der Thar'Sharragh.

Ylenavei und Elidir - ihre Schwester war der Waldelfe im vergangenen Jahr nach Quellhain gefolgt - hatten den letzten Rest ihrer kümmerlichen Vorräte auf eines der Boote verladen, als die eisigen Scharen die Wälle überrannten. Innerhalb von Sekunden war der Versuch der Dorfbewohner, eine Verteidigungslinie zu bilden, vereitelt gewesen. Die junge Druidin war, den Bogen bereits in der Hand, über die kleine Landzunge gestürzt, welche den Booten als Liegeplatz diente, als sie die heilige Quelle des Lebens gewahrte, die allem Sturm zum Trotz auf einer nahen Anhöhe sprudelte. Ylenavei sah die Wächterin vor dem gleißenden Wasserspiel
stehen, die Arme zum Himmel erhoben, ein Inbegriff der Macht der Natur.

Dann hatte die Welt sich um sie gedreht, als eine gewaltige Erschütterung die Elfe von den Füßen riss. Von der Not ihrer Gefährten getrieben hatte sie sich hastig aus dem allgegenwärtigen Schnee befreit - und wäre um ein Haar in einen Wassergraben gestolpert, welcher sich vor ihren Füßen auftat. Zu ihrem Entsetzen hatte Ylenavei feststellen müssen, dass der Graben ihre Landzunge vom Festland trennte und von Sekunde zu Sekunde breiter wurde. Die Anhöhe mit der Quelle darauf war verschwunden, und von der Wächterin keine Spur mehr auszumachen gewesen.

Vom Entsetzen gelähmt hatte die junge Druidin den Wassergraben angestarrt, bis sie Farhedrel am jenseitigen Rand angelangen sah. Der Waldläufer hatte ihr etwas zugerufen, doch über die wachsende Entfernung hinweg hatte seine Stimme Sturm und Kampflärm nicht mehr zu durchdringen vermocht. Seine Geste war jedoch nicht zu missdeuten gewesen - er wies auf die Schiffe, die in Ylenaveis Rücken lagen, unerreichbar für alle, die jenseits des Grabens kämpften. Farhedrel hatte sie angewiesen, ihn und die hoffnungslos verlorenen Gefährten zurückzulassen und den Fluchtweg zu nutzen, den sie alle mühsam erkämpft hatten. Doch der Verstand der Waldelfe hatte längst vor ihrer Verzweiflung kapituliert, und wäre Elidir nicht gewesen, hätte ihre Schwester sie nicht eigenhändig zu den Schiffen zurückgeschleift,
so hätte Ylenavei noch am Rand des Grabens ausgeharrt, als Land und Wasser in
markerschütterndem Grollen auseinandergerissen wurden...

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Ylenavei

#1
Heiße Tränen brannten auf den Wangen der jungen Druidin, als die letzten Momente ihres Lebens in Quellheim einmal mehr durch ihre Seele drangen. Zitternd kauerte Ylenavei auf dem toten Ast an der Steilküste Britannias, wie sie in jenem Boot gekauert hatte, nachdem sie und Elidir in höchster Not die Haltetaue gekappt und ihr winziges Gefährt den Launen des Meeres überlassen hatten. Die ohrenbetäubende Explosion, als das letzte Seil fiel, hatte tief in ihrem Herzen etwas brechen lassen, und unendliche Leere war der Waldelfe auf die endlose See hinaus gefolgt.

Kälte, Wind, Wind und Kälte, und das höhnische Rauschen der Wellen in den Ohren...
schlagartig wurde Ylenavei bewusst, dass sie wirklich fror. Ihre Hände, fest in den wollenen Umhang geklammert, wurden bereits steif, und die Zehen in ihren Stiefeln schmerzten. Seit Farhedrels Tod und dem Ende Quellhains hatten sich nun bald zwei Zyklen geschlossen, und dennoch hatten Schmerz und Verzweiflung sie erneut eingeholt...

Der schneidende Wind mahnte die junge Druidin, sich an einen geschützteren Ort
zurückzuziehen, wenn sie nicht erfrieren wollte. Es hatte Tage gegeben, an denen sie sich bereitwillig der Umarmung des Frosts ergeben hätte, um dem Brennen in ihrer Seele zu entkommen. Doch die Natur hatte einen anderen Weg für sie vorgesehen, so grausam die Launen des Schicksal zuweilen auch sein mochten. Das Boot der beiden Waldelfenschwestern hatte sie an das sichere Ufer der Insel der Zuflucht getragen, und Ylenavei hatte dort drei Monde im Kreise ihrer Familie Trost gefunden. Mit einem neuen Frühling war der jungen Elfe mehr und mehr bewusst geworden, dass ein großer Teil ihres Weges, der Weg eines Druiden, noch vor ihr lag, und sie erneut von der Heimat ihrer Kindheit fortführen würde. Sobald das Wetter milder wurde, hatte sie das kleine Schiff, welches sie und Elidir hierher getragen hatte, instandsetzen lassen und es nach ihrem Liebsten "Farhedrel" genannt, bevor Ylenavei die Druidin ihre zweite Reise ins Ungewisse angetreten hatte...

Mit steifen Bewegungen raffte die Waldelfe sich auf und kletterte über die Felsen empor zum Saum des Waldes. Obgleich dieses vielversprechende Land ihr eine neue Heimat sein mochte, würde Ylenavei das kleine Schiff mit Namen Farhedrel nicht an seinen Ufern zurücklassen und vergessen können. Zu eng war die Verbindung mit dem letzten Holz von Quellhain, zu sehr war ihr Schicksal mit seiner Herkunft verwoben, als dass sie es einfach würde aufgeben können.

Wenige hundert Schritt von den Klippen entfernt lag das Boot sicher vertäut in einer kleinen Bucht. Zu simpel für eine richtige Behausung würde es zumindest in dieser Nacht den Schutz vor Wind und Wetter bieten, welchen die junge Druidin so dringend benötigte. Sie würde weitergehen, würde ihrer Bestimmung folgen, für das Leben, für Quellheim, für Farhedrel.

Still ist die Nacht, die Luft ist kühl. Ein neuer Tag schwebt über See und Land, treibt
dunkle Schatten vor sich her. Im Morgenrot erstrahlt der Sand - und leise singt das Meer...

Ylenavei

#2
(Backup vom Dezember 2005, verfasst von Farhedrels ersten Player auf DC)

Nachdem Farhedrel seiner geliebten das Zeichen gegeben hatte sich in Sicherheit zu bringen brach ihm das herz. Doch für solcherlei war nun keine Zeit denn unaufhaltsam wendete sich die Insel ihrem sicheren Untergang und es schein keine Möglichkeit mehr zu geben um die untergehende Welt sicher zu verlassen.

Schnell hatte sich der junge Waldelf wieder gefangen und ließ die Sehne seines Bogens unaufhörlich singen auf das viele der Nordischen Bestien seinen Pfeilen zum Opfer fielen doch auch das würde nicht mehr viel ändern.... jetzt wo der Fluchtweg genommen war und alle ihrem sicheren Tode ins Auge sahen.

Eine kleine Gruppe Waldelfen hatte sich mit Fahedrel zusammen getan um mit ihm den Bestien und dem Dämon einen letzten Kampf zu liefern auch wenn ihr Schicksal besiegelt sei und als dem jungen Elfen schließlich keine Pfeile mehr blieben um seine Feinde aus der Distanz anzugreifen, zog er 2 kleine Klingen und rannte so schnell er konnte auf das ihm entgegenkommende Heer zu. Aus der Ferne waren nur noch die Worte AYA YLENAVEI

Danach war Farhedrel verschwunden doch sollte dies nicht von langer Dauer sein, denn Tot, so viel stand fest war er noch nicht.

Ylenavei

#3
(Backup vom Dezember 2005, verfasst von Ylenavei)

   Abends, wenn der Mond aufgeht, finde ich zur Ruh.
Wenn der Wind sein Wiegenlied singt, dann höre ich schweigend zu.
Wenn dein Lied erklingt,
wenn er mir dein Lächeln bringt,
Kann ich deine Wärme spürn.
Doch so rasch vergeht,
Was im Lied des Windes weht,
Könnte ich ihn nur berührn!

Wenn mein Herz im Dunkeln dann einsam um dich weint,
Dann möchte ich mit allem, was ich bin
In deine Arme heimkehren, heim zu Liebe und Geborgenheit...


Der Morgen dämmert nun, und ich vermag noch immer nicht zu begreifen, was in der letzten Nacht geschah. Das erste Licht des Tages ließ mich angstvoll auffahren, angstvoll, weil ich fürchtete, der Wind habe einen wunderbaren Traum fortgeweht, aus welchem ich niemals mehr hätte erwachen wollen. Doch Farhedrel ist hier, und ich lausche seinem gleichmäßigen Atem, während ich auf dem Bett sitze und diese Zeilen schreibe. Nach wie vor scheint es mir wie ein Wunder, dass er hier neben mir in Frieden schlummert, gleichsam von den Toten heimgekehrt.

Wie habe ich mir gewünscht, noch einmal in seine wunderbaren Augen blicken zu dürfen, mich danach gesehnt, in seinen Armen zu liegen, noch ein einziges Mal die Wärme seiner Liebe spüren zu dürfen, ehe ich ihn würde gehen lassen müssen. In wievielen Nächten habe ich allein mit meinem Schmerz an einem Meeresstrand gesessen, als der Wind und das fahle Mondlicht die einzigen Gefährten waren, die mir einen Funken Kraft zu geben vermochten?

Mein Sehnen hat Erfüllung gefunden, all meine Gebete wurden erhört, und mehr noch, wir erneuerten unser Band und schworen, dass unser beider Wege nun auf alle Ewigkeit in gemeinsamer Richtung verlaufen sollen. Farhedrel, mein geliebter Farhedrel, Papier mag nicht zu fassen, was ich fühle, wenn ich nun über dein friedliches Gesicht streiche, deine warme Haut unter meinen Fingern spüre, sie mit einem Kuss zu schmeicheln suche... Es gelingt mir nicht, in Worten auszudrücken, was ich gegenüber der Quelle empfinde, die dich wie mich durch alle Widrigkeiten geleitete, um uns dieses Wunder zu schenken. Gepriesen sei das heilige Wasser des Lebens in seiner grenzenlosen Macht und Liebe!


Während ich schreibe, wandern meine Gedanken zurück nach dem gestrigen Abend. Ich verwalte das umfangreiche Anwesen meines werten Freundes Seymore de Aglar, seit er und seine liebe Frau Lucia nach seiner Heimat aufgebrochen sind, um Seymores Familie in der Not beistehen zu können. Es zeigte sich, dass in den Tagen vor seiner Abreise Geschäftsverhandlungen stattgefunden hatten, welche noch zu keinem Abschluss geführt hatten. Ich gebe mir alle Mühe, sie fortzuführen und gemäß Seymores Willen abzuschließen.

Es fällt mir nach wie vor schwer, die bedrückende Stille der leeren Villa in Orestes zu ertragen, doch kehrte ich gestern nicht allein dorthin zurück, um mit der Meisterin der Handelsgilde aus Britain über Rohstoffe und ein oder zwei meiner Reitkäfer zu feilschen. Yaloronon, mein lieber Bruder-unter-den-Bäumen, den ich im Scherze den 'schnellsten Elf im Wald von Yew' nenne, begleitete mich und gab mir geistige Unterstützung bei meiner Aufgabe, die mir so wenig liegt.

Später, nachdem die gewünschten Waren und eines meiner Tiere den Besitzer gewechselt hatten, saß ich allein über den Büchern, um das getätigte Geschäft schriftlich festzuhalten, wie ich es zuvor so oft bei Seymore gesehen hatte. Doch lange hielt ich es nicht aus an jenem Tisch, um den herum stets ein warmer Wind der Freundschaft geweht und unser Lachen durch den Raum getragen hatte. Sobald die Rechnungen geschlossen waren, ließ ich die verwaiste Halle zurück, um nach iama zu sehen, der wohl schon ungeduldig vor dem Tor auf mich wartete.

Meine Gedanken waren weit fort auf dem endlosen Meer, bei Seymore und Lucia, die irgendwo dort draußen segeln mochten, als ich vor die Villa trat. So riss es mich gleich einem Schwall kalten Wassers in die Wirklichkeit zurück, als ich die reglose Gestalt zu iamas Füßen entdeckte, offensichtlich verwundet und in jämmerlichem Zustand. Ich eilte auf den Bewusstlosen zu, denn ich fürchtete das Schlimmste, doch ein Blick in iamas unschuldige Augen genügte, um mich zu überzeugen, dass es nicht unbedachter Umgang mit meinem tierischen Gefährten gewesen war, welcher dem Verwundeten zum Verhängnis geworden war.

Zudem handelte es sich um einen Waldelfen, und ich glaube, kein Waldelf wäre so töricht, einen Ostard zu reizen, noch dazu ein fremdes Tier. Ich hatte mich mit kurzen Blicken überzeugt, dass Rückgrat und Hals unversehrt waren, und versuchte, den Elfen auf den Rücken zu drehen, als er zu sich kam und mich anzusehen suchte. Seine Augen trafen mich wie ein eiskalter Stich, so sehr schienen sie denen Farhedrels zu gleichen, jenen herrlichen blauen Augen, aus welchen die Quelle selbst zu entspringen schien. Einen Augenblick lang war ich wie gelähmt, doch dann mahnte mich der Ernst der Lage zum Handeln.

Der Verwundete war in eine entspannende Bewusstlosigkeit zurückgesunken - oder lächelte er, als er mich sah? - und sein Atem ging so flach, dass ich fürchtete, er sei dem Tode nahe. Ohne zu zaudern zerschnitt ich seine zerschundenen Kleider über der Brust, wo sich ein feuchter Fleck frischen Blutes gebildet hatte. Ich legte eine entsetzliche Wunde frei, der Überrest eines schwarzen Pfeils steckte darin, und das wahrscheinlich schon länger. Als der Elf sich bewegte und zu mir aufsah, musste sie wieder aufgebrochen sein - zum wievielten Male? - und warmes Blut sickerte seitlich des abgebrochenen Schaftes heraus.

Erst jetzt, während ich diese Zeilen niederschreibe, gewahre ich die Ironie, welche in diesem Anblick lag, eine grausame Laune des Schicksals, welches sich in makaberer Weise zu wiederholen schien. Wäre meine Aufmerksamkeit nicht, wie es sich für einen Heiler gebührt, voll und ganz auf die zu behandelnde Wunde gerichtet gewesen, hätte ich die schmale Narbe nahe des Einstichs erkennen müssen, die von jenem bedeutsamen Tag zeugte, als ich nach der Quelle griff, um Farhedrel von einem ganz ähnlichen Pfeil zu befreien.

In jenem Augenblick kreisten all meine Gedanken jedoch um die Wunde vor meinen Augen. Der Elf schien so geschwächt, dass er unter meinen Händen verbluten mochte, sollte es mir nicht gelingen, den Pfeil zügig zu entfernen und das beschädigte Blutgefäß umgehend zu schließen oder zu blockieren. Ich griff nach dem Überrest des Schaftes und bewegte ihn prüfend etwas zu den Seiten, sobald ich festen Halt hatte. Das Stöhnen des Verwundeten ließ mein Herz sich zusammenkrampfen, doch die Pfeilspitze saß längst nicht so fest, wie ich zunächst befürchtet hatte.

Ich legte die freie Hand um die Einstichstelle, bereit, zuzudrücken, sobald die Spitze hinaus war, und noch während ich den Pfeil befreite, griff ich nach dem Strom des Lebens, öffnete mich der Quelle, und ihre Macht durchströmte mich ungehindert, da ich die Vorsichtsmaßnahmen der alten Druiden fahren ließ, um alles geben zu können, was meine Kräfte mir zubilligten. Ich spürte eine Wärme direkt aus dem Boden aufsteigen, jene belebende Wärme des heiligen Wassers, die einen Todgeweihten ins Leben zurückzurufen vermochte. Die Wärme durchströmte meinen Körper, und ergriff ebenso den wunden Leib unter meinen Händen, flutete in ihn hinein und erfüllte ihn mit jenem großen Lied, das in allem Lebendigen zu klingen scheint.

Das Lied der Quelle des Lebens hallte in meinen Ohren wieder, rauschte durch meine Venen und alles ringsumher schien von einem strahlenden Leuchten erfüllt zu sein. Irgendwo inmitten dieser absoluten Vollkommenheit des Daseins - auch hier fehlen mir die Worte für eine angemessene Beschreibung dieses Zustands - nahm ich wahr, wie eine Hand sich über meine Hände schob, die nun beide auf der Brust des Verwundeten ruhten. Dann versiegte der Strom ebenso schnell, wie er über uns hereingebrochen war, und ich fühlte mich in jene endgültige innere Leere fallen, welche mich jedes Mal mehr oder weniger stark trifft, wenn ich die Macht der Quelle fahren lasse.

Am gestrigen Abend schien eine Ewigkeit zu verstreichen, bis ich so weit zum Gleichgewicht zurückfand, dass ich es wagte, die Augen zu öffnen und nach meinem Schützling zu sehen. Ich wagte ihnen nicht zu trauen, denn er saß auf den Knien vor mir, die Hand unsicher nach meinem schwankenden Leib ausgestreckt, als fürchtete er, ihn zu berühren, und in seinen Augen, Farhedrels Augen, stand Besorgnis und jene unendliche Wärme, die einzig dem heiligen Wasser innezuwohnen scheint. Farhedrel, mein geliebter Farhedrel, er kniete dort vor mir und nannte meinen Namen mit seiner Stimme, die einmal wieder zu hören es mich in tausend hoffnunglosen Träumen verlangt hatte, zum Greifen nah, und es war unmöglich, denn Farhedrel war verloren, ebenso verloren wie Quellhain, ein Opfer der eisigen Klauen des Thar'Sharragh...

Der ungnädige Strudel der Widersprüche sog mich auf, und dankbar gab ich mich der Leere hin, die mich erneut zu umfangen suchte. - Als ich wieder zu mir kam, spieh ich Wasser aus, welches in meine Lungen dringen wollte, und Farhedrel strich mir beruhigend durch das Haar, wie er es früher so oft getan hatte. Ich hob die Hand und legte sie an sein warmes Gesicht, und in jenem Augenblick, als ich ihn berührte, wurde in meinen Augen alles real. Farhedrel ist hier, mein liebster Farhedrel, den ich unwiederbringlich verloren glaubte, wider allem Erwarten ist er hier bei mir und lebt!

Die Zeit schien angehalten, als wir uns in den Armen lagen und weinten vor Glück und Verzweiflung, und uns festhielten, als gelte es zwei verlorene Jahre nachzuholen, und einander darauf nie wieder loszulassen, während unsere rasenden Herzen langsam in jenen Gleichklang fanden, den wir früher schon so oft geteilt hatten.

Farhedrel berichtete mir von seinem Schicksal seit dem Untergang Quellhains, und wir hielten uns an den Händen, und ich teilte sein Leid mit ihm, wie er mit mir das Meine teilte. Die heilige Quelle hatte ihn auf einem Weg der Verheerung geführt und ihm die Kraft geliehen, selbst unter widrigsten Umständen zu überleben und weiterzugehen. Die unendliche Liebe des Lebens, unsere Liebe zueinander, mag uns schließlich beide hierhergeführt haben, und es scheint eine weitere Laune des Schicksals zu sein, dass unsere Wege sich schließlich vor dem verlassenen Haus meiner besten Freunde trafen.

Während ich versuche, den Sturm in meiner Seele zu beschwichtigen, indem ich den Überschwang der Gefühle auf Papier banne, schläft mein Liebster neben mir und erholt sich von den körperlichen Wunden, die er so lange mit sich herumgetragen hat. Wie Farhedrel mir berichtete, hatte jener Pfeil seit nahezu zwei Lebenszyklen in seiner Brust gesteckt, denn nie habe er es gewagt, ihn selbst zu entfernen, aus Furcht, er könne verbluten, ehe sein Weg ihn zu mir geführt hätte.

Um so mehr erscheint es mir wie ein Wunder, wenn ich heimlich betrachte, was von dieser schrecklichen Verletzung geblieben ist. Sie ist keinesfalls heil, und deutlich sichtbare Gefäße rings um die frische Narbe lassen erkennen, dass sein Körper fieberhaft daran arbeitet, das fortzuführen, was der Strom des Lebens durch meine Hand begonnen hat. Dennoch hat Farhedrel den Weg zu meiner... unserer Hütte auf eigenen Füßen gemeistert, kaum zwei Stunden nachdem ich ihn sterbend vor iamas Füßen fand. Ich werde diese Narbe genauestens im Auge behalten, bis sie wirklich gesundet, denn ich weiß noch zu wenig über die Macht der Quelle, um sicher zu gehen, dass der Schein nicht trügt.

Zweifellos wird eine Wunde, die über zwei Jahre hinweg offen klaffte, niemals vollständig verheilen. Es wird eine weitere Narbe zurückbleiben, und wie jene älteren Male wird sie von den unglücklichsten Tagen in Farhedrels Leben zeugen, welche für uns beide größere Bedeutung haben mögen, als alle Anderen, endeten sie doch stets in den seligsten Augenblicken, die wir bislang teilten.

Ich fürchte, die Entbehrungen auf seinem Weg sind auch an seiner Seele nicht spurlos vorübergegangen. Ich mag es kaum glauben, wenn ich ihn so friedlich an meiner Seite schlummern sehe, doch tief in Farhedrels Herz hat das Grauen welken lassen, was das Leben eines jeden Wesens lebenswert macht, jene feinen Sinne für das große Lied, das im Singen des Windes und der Wellen stärker wiederhallt als in allen Dingen, die die Quelle schuf. Auch ich empfand einst dieses tödliche Gefühl des Verlusts, und der Mond hatte vielmals zu- und abnehmen müssen, ehe ein Keim der Hoffnung in meinem Innern aufging und das Lied des Windes an den Küsten Britannias zu mir zurückkehrte.

Farhedrels seelische Wunden gehen jedoch tiefer, und ich fürchte, keine Macht der Welt vermag jenen Keim in ihm zu erwecken, ehe er das Lied selbst neu entdeckt. Ein Blick in seine Augen hatte jedoch genügt, um mich zu überzeugen, dass die Hoffnung nicht verloren ist. Denn die unbeschreibliche Liebe, mit welcher er mich ansieht, ist ein Beweis dafür, dass die Quelle des Lebens nach wie vor in ihm sprudelt. Sie mag unter einem Gebirge der Verheerung verschüttet liegen, doch ist sie da, und der Zeit, der größten aller Mächte, vermag auch der höchste Berg nicht ewig standzuhalten. Die Quelle möge uns die Zeit geben, um Farhedrels Wunden heilen zu sehen, auf dass wir eines Tages gemeinsam in das Lied des Windes einstimmen werden...

Meine Niederschrift wird hier enden müssen, denn mein Liebster regt sich neben mir, und ich möchte ihn vor dem Schrecken des Erwachens aus einem vermeintlichen Traum bewahren, wie er mich heute früh so unsanft geweckt hatte...

Ylenavei

#4
(Backup vom Dezember 2005, verfasst von Farhedrels erstem Player auf DC)

Schnell sank Farhedrel diese Nacht wieder ins reich der Träume ein. Zu anstrengen waren die letzten Tage gewesen und zu viel war in den letzten Stunden geschehen als das er sich noch länger wach hätte halten können. Endlich hatte er es geschafft. Endlich hatte er seine geliebte nach 2 Jahre langer suche wieder gefunden. Doch nun war er wieder im reich der Träume wo er alles noch einmal durchleben sollte. Den furchtbaren Untergang Quellhains, den Verluste seiner geliebten und schließlich den Kampf um leben und Tot.


Farhedrel rannte so schnell ihn seine Füße nur Trugen auf eine lange ebene Richtung Ufer. Doch er schein nicht alleine zu sein denn eine ganze schar von Waldelfen rannte hinter ihm her als währen ihre Herren die Peitschen hinter ihnen her. Doch wo alle anderen aus flucht vor dem unaufhaltsamen Heer des dunklen Dämons Thar'Sharragh rannten, war dies nicht der weg jenes einen jungen Elfen. Denn an den ufern standen schon seine geliebte und ihre Schwester und warteten nur noch auf Farhederl um endlich abzulegen und Quellhain seinem unaufhaltsamen Untergang zu überlassen und ihr eigenes Leben zu retten. Doch der Dämon hatte scheinbar mit den Elfen gerechnet und plötzlich begann die Erde zu beben und eine breite tiefe Schlucht tat sich nun zwischen den Waldelfen und dem Ufer auf, sodass jede Möglichkeit zu fliehen nun sinnlos ward. Zudem begann sich die komplette Insel langsam aufzustellen um dann in den tosen des Meeres wie ein Schiff unter zu gehen. Farhedrel rannte hoch zum letzten stück der Schlucht und rief seiner geliebten so laut er nur konnte zu das es keinen Zweck habe und sie von hier verschwinden müsse. Doch es hatte keinen Zweck. Der tosende Winterwind und das Geschrei der eben begonnenen Schlacht übertönten alles und jeden sodass keines seiner Worte das gehör seiner geliebten Ylenavei auch nur ansatzweise erreichen konnten. Doch seine alles sagende Geste war unverkennbar und jeder wusste was das zu bedeuten hatte. Doch die junge Elfin wollte nicht gehen und hätte sie ihre Schwester nicht schließlich zu den Booten gezerrt hätte sie ein tödliches Schicksal erfahren das allen anderen vorbestimmt schien.


Als Farhedrel seine geliebte aus den Augen verlor konnte er sich erstmal kurz einen Überblick von dem machen was nun n unweigerlich vor ihm stand und das er jetzt mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mittel bekämpfen musste. Und so zog er dem Bogen von Rücken und ließ dessen sehne noch einmal singen. Diesmal würde es lauter und klarer klingen ja jemals zuvor. Doch nicht das Lied der Gerechtigkeit und Bestrafung war zu hören sondern eine Melodie die aus Schmerz, Kummer und leid gemacht zu sein schien hallte über das Schlachtfeld während sich die Insel immer weiter neigte und sich somit unaufhaltsam seinen Untergang näherte. Und das dem jungen Waldläufer schließlich die Pfeile ausgingen, schnallte er sich den Bogen wieder auf den Rücken, zog zwei sehr kunstvoll verzierte Elbenklingen und Rannte auf die gegnerische Meute zu. Doch der Quellhain hatte sich inzwischen schon so weit aufgetürmt das Farhedrel bald nicht mehr laufen musste sondern regelrecht in die Tiefe fiel. Und als er sich nun blitzartig der gegnerischen Front näherte die sich mit ihren langen klauen in die Erde gegraben hatten um vorwärts zu kommen traf ihn ein schwarzer Pfeil in die Brust ehe er den Schützen und noch Unmengen anderer Feinde mit in die Tiefe riss.


Der Aufprall war hart denn durch die hohe Geschwindigkeit war das Wasser hart wie Stein geworden und alle die es erreichten waren entweder sofort tot oder Starben beim Aufprall mit einem lauten Schmerzensschrei. Als sich die Insel weiter neigte und es nun langsam schon von unten den Anschein hatte, das die Bäume mit der Krone zuerst nach untern kommen würden, schlug auch Farhedrel auf dem Harten Wasser auf. Kein schrei war zu hören und alles war still. Plötzlich wie wenn das Wasser selbst kurz ein atmen würde tauchte auch der junge Waldläufer wieder aus dem eiskalten Wasser auf und hatte mühe zwischen den vielen Leichten die herunter gestürzt kamen seine eigene Haut zu retten, bis schließlich die eigentliche Falle zuschnappen sollte. Eine Falle wie sie für einen Waldelfen ironischer gar nicht sein konnte. Von den Bäumen die er einst beschützte und von Erde und Wasser erschlagen und zerquetscht.
Der junge Waldelf hatte mühe dem Tosen so vieler Bäume die gleichzeitig mit der Krone voran das Wasser bei ihren eintritt zur Seite zu drängen auszuweichen. Und in dem kurzen Moment in dem di Bäume das gewicht der Erde tragen konnten und das Wasser so zur Seite gedrückt wurde das Fahrhedrel wieder Boden unter seine Füße bekam, katapultierte er sich mit einem gewaltigen Satz in die Bäume die wenige Sekunden danach unter knacken und Krachen nacheinander Brachen und zerbarsten. Wie ein Affe sprang der junge Elf nun von Baum zu Baum auf der suche nach einem sicheren Unterschlupf als er wie durch einen glücklichen Zufall die keine Höhle wieder fand in die er sich nie hinein getraut hatte als er noch ein kleines Kind war. Schnell wie der Wind konnte er noch hinein kriechen und sich gleichermaßen gegen alle Wände zu drücken um den Stoß der gleich alles erschüttern würde zumindest ein wenig abfangen zu können. Und so geschah es auch das wenige Sekunden später alles in sich zusammen brach und Farhedrel in seiner kleinem Höhle von einer Ecke in die andere geschleudert wurde bis endlich alles still war. Langsam begann sich die Höhle mit Wasser zu füllen und der Elf war gezwungen immer tiefer hinein zu gehen und als er schon fast an der Wand kauerte hörte das Wasser nun endlich zu steigen auf. Der junge Waldhüter brach unter grauenhaften Schmerzen den schwarzen Schaft des Pfeils ab um sich erst einmal zu versorgen. Doch der Pfeil hatte sich zu tief im Fleisch verankert und wenn er versuchen würde ihn heraus zu ziehen würde er elend verbluten. Es war kalt und seine Kleidung war nass und in dieser feuchten höhle hatte er auch keine Möglichkeit wärme zu erzeugen oder die Kleidung zu trockenen. Hier konnte er nicht bleiben so viel stand fest und er musste sich bewegen ehe er noch erfrieren würde und so entschloss er sich noch einmal ins Wasser zu gehen um die Höhle wieder durch den einzigen Eingang zu verlassen. Doch der Erfolg blieb aus denn der Eingang war versperrt und nun saß Farhedrel wirklich in der Falle. Schließlich als er keinen anderen Ausweg mehr sah tat er etwas was wohl noch nie ein Elf zuvor getan hatte. Er benutzte seine Klinge um zu graben und die Höhle so zu erweitern und mit etwas glück auch einen Ausweg zu finden. Nach mehreren Stunden war das Wasser voll mit Sand und die Höhle ein ganzes Stück größer geworden. Der Elf war tot müde und viel wärmer war es auch nicht geworden. Das Wasser war nicht mehr genießbar und er hatte Hunger. Doch es sollte noch eine ganze weile dauern ehe er wieder etwas zu essen bekommen könnte, denn Farhedrel kam vom Regen in die Traufe. Mit einem kräftigen hieb zerschmetterte er einen Stein der ihn wie er glaubte nur noch zwischen dem rettenden Ausgang zu trennen vermochte. Doch er hatte einen Ausgang unter dem Wasserspiegel geschlagen und dieses tat seine Arbeit und erweiterte blitzartig den neuen Höhlenzugang und Spülte den Elf zurück an den verschlossenen Eingag. Dieser von dem Wasser überrascht rang wie wild nach Luft und konnte nun nur noch ein einziges mal flüchtig einatmen ehe die ganze Höhle unterspült war und er diese nun auf schnellstem Wege verlassen musste.


So schnell er konnte schwamm er in Richtung Oberfläche die nun von einer dicken Eisschicht bedeckt war. Die starke Strömung unter dem Eis machte ihm schwer zu schaffen und immer wieder versuchte er ein Loch in das Eis zu schlagen. Doch er konnte niemals zweimal auf dieselbe Stelle schlagen um endlich Erfolg zu haben. Mit letzter Kraft rammte er seine zweite Klinge in das Eis um hat zu bekommen und durchschlug mit dem Heft der Klinge die durch das graben stumpf geworden war um das Eis zu durchstoßen und kurz Luft zu holen ehe ihn die Strömung wieder nach untern weg zog. Das Wasser war so kalt das es sich wie 1000 Nadelstiche anfühlte die einen zu lähmen zu versuchten um ein endgültiges Opfer des Winters zu werden. Doch der junge Elf gab nicht auf und schaffte es ein weiteres Loch zu schlagen. Die Strömung zerrte an ihm doch sein Wille war stärker als alles andere. Zwei mal brach das eis wieder ein als er versuchte sich aus dem Wasser zu ziehen bis er es irgendwann schließlich schaffte das Wasser zu verlassen. Doch damit war der Winter nicht geschlagen denn der kalte Wintersturm verlangte Farhedrel alles seine Kräfte und all seinen Willen ab ehe er nun endlich auf dem sicheren Land fast am ende auf die knie viel. Ein paar Minuten lag er da und fror vor sich hin während sich vor seinem inneren Auge noch einmal alle seine schöne Zeit die er mit seiner geliebten Ylenavei verbringen konnte. Wie sie zusammen kämpften, zusammen den klängen der Natur lauschten oder einfach nur die Sonne beim untergehen betrachteten. All diese Gedanken gaben ihm mut nicht liegen zu bleiben und doch noch nach all diesen Strapazen zu erfrieren sondern weiter zu machen und zu kämpfen egal welchen Preis die Quelle auch verlangen möge, er würde ihn mit Freuden bezahlen nur um seine Ylenavei noch einmal sehen zu können. Und so rappelte er sich erneut hoch um einen sicheren Ort zu finden an dem er sich ausruhen konnte. Doch der Anblick der sich ihm nun bot würde jeden verzagen lassen. Es war eine Wüste von Erde umgeben von dickem Eis und weit und breit war nichts mehr zu sehen außer ein kleines Schiffsfrack das im Eis eingeschlossen vor ihn lag und zumindest einen Schutz gegen den Wind hätte bieten können. Doch auf dem Eis konnte er unmöglich bleiben also schlug er das kleine Holzboot aus dem eis und den trockenen teil gleich in einpaar stücke um ein kleines Feuerchen zu entfachen während der Rest des Bootes als Windschutz dienen sollte. Und so kam es das Farhedrel eine kleine Mulde grub und die Überreste des Bootes so gegen den Wind positionierte das es ihm schließlich durch Reibung ein kleines Feuere zu entfachen an dem er sich nicht nur etwas Wärmen konnte sondern auch seine Kleider die zum teil schon vereist waren wider trocken zu bekommen und sogar ein wenig schlaf zu finden.


Schon zwei ganze Jahre waren nun vergangen als er sich damals in der Mulde zumindest ein bisschen ausruhen konnte. Er hatte eine Welt erreicht die sowohl von Waldelfen belebt schien als auch reich an allem was die Natur einem nur versprechen konnte. Doch das alles konnte dem Jungen Waldläufer nun kaum noch was sagen denn was Natur war und wie es klang wenn sie zu wirken begann hatte er in seinen vielen Reisen auf der Suche nach seiner geliebten fast vollends vergessen. Die Bäume und Sträucher. Das wunderschöne Yew mit seinen wundersamen dingen und Tieren. All das schien ihn nicht zu interessieren. Alleine die Tatsache das Ylenavei hier leben könnte machte diesen Ort liebenswert. Und so stolperte und stolzierte er schwer verletzt immer ihrer Spur hinter her bis er schließlich ihren Ostard fand und dort zusammen brach



Plötzlich fährt Farhedrel hoch und sieht seine geliebte Gattin neben sich sitzen. Diese lächelt ihn sanft an und drückt ihn wieder nach hinten. Sanft gibt sie ihm einen Kuss und schmiegt sich sanft und liebevoll an ihn. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Er war zu hause und er war glücklicher als es je ein Geschöpf hätte sein können

Ylenavei

(Backup vom Januar 2006, verfasst von Ylenavei)

Abends, wenn der Mond aufgeht, komme ich zur Ruh'...

*Die Zeile endet in einem abrutschenden Federstrich, welcher in einem ehemals feuchten Fleck zerrinnt.*

Ruhe... was ist das? - möchte ich fragen, während ich auf diesen fast leeren Bogen Pergament starre, bis die wenigen Buchstaben darauf vor meinen Augen verschwimmen. Einst mag ich dieses Gefühl gekannt haben, mag es mir vergönnt gewesen sein, Ruhe und Geborgenheit zu finden. Einstmals, als das heilige Wasser des Lebens in all seiner Kraft und Reinheit durch meine Venen strömte, als mein Weg in Allem gut und richtig war, hat es etwas wie Trost gegeben, etwas, woran ich mich festhalten konnte, wenn die Welt um mich herum auseinanderzubrechen schien.

Einstmals, das war vor drei Tagen. Doch diese drei Tage erscheinen mir nun wie eine Ewigkeit, als sei jene Mittwinternacht in unerreichbar ferne Vergangenheit hinfortgerückt. Mittwinter - oder Wintersonnenwende - diese Nacht, in welcher die Kraft der Quelle in jedem Zyklus nahezu versiegt und gleichsam neu geboren wird, diese Nacht der größten Schwäche ist nun zu meinem Verhängnis geworden. Leben zu bewahren und zu stärken, auf dass es aus Schutt und Asche neu erblühe, das hatte mein Weg sein sollen. Doch in der dunkelsten Stunde, in jenem Augenblick, da das Leben schwindet und neu entfacht wird, habe ich ihn verraten, habe ich alles verraten, was mir lieb und teuer ist.

Wie wenig ist nötig gewesen, um mich vergessen zu lassen, was mein Leben ist, und was mich leitet, mit welcher Leichtigkeit sind meine Füße gestrauchelt, habe ich mich dem Fall überlassen, die Augen vor meinem Weg verschlossen, um blindlinks in das Verderben zu irren. Heilige Quelle, durch Eis und Feuer hast du mich sicher geführt, unzähligen Schrecken habe ich mit deiner Treue ins Gesicht gesehen... warum habe ich dich so gedankenlos von mir weisen können, wie konnte ich das tun?

Oh Farhedrel, wie habe ich deine Liebe vergessen können, die dich durch die Hölle zu mir führte? Wie habe ich den Schwur verraten können, der dein geliebtes Herz an das Meine bindet? Wie habe ich in nur einem Augenblick falscher Freude all hinschmettern können, was wir mit so viel Leid und schmerz erkämpft hatten und zu bewahren suchten?

Ein Augenblick des Leichtsinns, der Gedankenlosigkeit in jener dunklen Nacht, und ich hatte den Schritt durch das Mondportal gewagt, den Fehltritt, der mich zu Fall und Verrat hatte führen sollen. Die Insel war so unwirklich.. falsch und tot... es hätte mich warnen müssen, doch stattdessen beflügelte jener so rätselhaft anmutende Ort meine Neugier. Ich glaubte, ein Huhn zu hören, doch das Tier, welches ich dann zu Gesicht bekam, war ein Puma, ein Berglöwe, völlig widernatürlich in dieser Umgebung.

Ich suchte der Katze zu folgen, doch sie floh, verschwand in einem großen Gebäude aus kaltem, weißen Marmor, mächtig und erhaben wie ein Tempel. Aus dem Eingang trat Lamiosa heraus und winkte mich zu sich, als hätte sie mich gleichsam erwartet. Verwünschte Kreatur in Elfengestalt, wie habe ich ihr nur trauen können? Kitana hatte mich gewarnt, mein Herz hatte mich gewarnt, und Farhedrel warnte mich aufs Neue, dass jenes Geschöpf nicht das war, was es zu sein schien. Ich hatte lernen wollen, ein weiteres Geheimnis unserer Welt ergründen, und war blind für die Gefahr, welche in jenen so leblosen Steinmauern lauert, um die Leichtsinnigen zu verschlingen, die ihre Wachsamkeit vergessen.

Eine Kammer ohne Fenster, nicht sehr geräumig, schwere Samtvorhänge und einladend weiche Kissen, ein Ort, der nach Gefahr schmeckte... was ist nur geschehen, dass ich meinen Willen fahren ließ, meine Sinne verschloss, wie ich es selbst daheim in der Sicherheit meiner Hütte selten wage? Ich erinnere mich an einen Wald, einen Wald so licht und lebendig, so rein und gut wie einst der Quellhain war. Ebenso erinnere ich mich an Frieden und Sicherheit, an gelöste Ruhe, wo ebenzuvor Gefahr in der Luft gelegen hat... doch die Gefahr ist verflogen gewesen, und in meiner Erinnerung ist alles gut und richtig...

Bei den Bäumen, wie habe ich nur so blind sein können? Wie habe ich zulassen können, dass sie meinen Geist vernebelt, dass ich Dinge dachte..tat, an welche nicht einmal zu denken ich
mir geschworen hatte? Immer, wenn meine Gedanken zu jenen Augenblicken.. oder waren es Minuten? Stunden? ... zurückkehren, überkommt mich der Hass, die Abscheu gegen meine Schwäche, die nagende Verzweiflung. Denn das, woran ich mich erinnere ist voller Süße und Seligkeit, welcher ich mich hingab und in vollen Zügen genoss. Meine krampfenden Kiefer schmerzen und meine Hand zittert, während ich mich mühe, diese Zeilen zu Papier zu bringen. Warum ist mein Geist so schwach?

Es war finster, die dunkelste Stunde der Mittwinternacht, als ich am Quell von Yew zur Besinnung kam. Der feurige Atem eines Drachen schien den Schleier von meinen Sinnen zu brennen, und Erkennen und Gewissheit brachen über mich hinein, warfen mich zu Boden, rissen mich in Stücke. Kitana war dort und rang mir ein Geständnis meiner Schande ab, und ich breitete sie vor ihr aus, nicht wert, mich ihre Schwester zu nennen. Ich fand keine Gelegenheit, um Vergebung zu ersuchen, denn mit einem Mal war sie wieder da, die Kreatur, vor welcher Kitana mich so gewarnt hatte, jenes Geschöpf, mit welchem ich solche Wonne empfunden hatte... verflucht sei dieses falsche Gefühl!

Meine Schwester, meine großmütige Schwester-unter-den-Bäumen und das Wesen Lamiosa, welches ich gleichzeitig zu lieben und abgrundtief hassen wollte, standen sich Auge in Auge gegenüber und ereiferten sich um mein Wohl, während mein Herz und meine Seele darum rangen, einen Willen zu finden, einen Willen, dieser Pein zu entrinnen. Doch es waren derer zwei, zwei Bestreben, mich an die Seite einer oder der anderen Streitenden zu stellen, mich zu ihrem Weg zu bekennen... die beiden Willen bekämpften sich einander ohne Einhalt, zerfleischten sich und meinen Geist, rissen meine Seele auseinander...

Ich glaube, ertrinkend im tosenden Wahnsinn habe ich nach der Quelle gegriffen, mich ihr geöffnet und sie in mich hineinströmen lassen, auf dass sie mich und alles Leid wegspüle... und anstelle meines Herzens zerriss die Erde direkt zu meinen Füßen, und das Feuer aus den Tiefen unserer Welt brach an die Oberfläche, ein Verzweiflungsschrei, zu welchem mein Leib selbst nicht fähig war.

Die Leere kam. Ich stürzte ihr entgegen, erlösende Dunkelheit. In Kitanas Armen kam ich zu mir, zu schwach, um Hass zu empfinden, zu verzweifelt, um zu begehren, oder gar zu lieben. Wir waren allein am Quell, allein mit unseren Tieren, jenen Treusten aller Gefährten, die keinen Weg hinterfragen, so lange er nur an unserer Seite verläuft. Doch in dieser Mittwinternacht gab es für mich einzig Leere und... und Furcht. Furcht vor den Schritten, die nun vor mir lagen, den bitteren Folgen meines Verrats. Ich fürchtete mich so sehr davor, Farhedrel meine Schande zu gestehen, seiner Liebe mit solch unsäglichem Undank zu begegnen. Es gab keinen Ausweg... denn wie hätte ich ihm jemals wieder in die Augen sehen können?

Irgendwie gelangte ich auf iamas Rücken, und mein treuer Ostard trug mich heimwärts. Farhedrel war bereits dort, und erwartete mich. Mein nur zu offensichtlich zerschlagener Zustand sorgte ihn, und die Wärme wie die Beklemmung in seinen Gesten brachen mir das Herz. Erst als er mich auf seine sanfte Art zwang, ihn anzusehen, brachte ich es über die Lippen, gestand ihm meine Schande, meine Unwürdigkeit, meinen Verrat.

Ein Schwertstreich hätte nicht tödlicher sein können. Ich sah die Welt in Farhedrels Augen zusammenbrechen, jenem wunderbaren Spiegel seines geliebten Herzens, ich sah seine Seele erstarren, jedwedem Sinn ihres Daseins beraubt. In meinem Frevel hatte ich das Leben vernichtet, welches mir teurer war als alles, was die Quelle schuf, welches in meinem Herzen vor dem Eigenen kommt, oder vielmehr gleichauf, denn Farhedrels Leben ist ebenso an das Meine gekettet, wie meines an das Seine...

Ich bin diese Liebe nicht wert. Ich bin es nicht wert, dieses einzigartige, wunderbarste Geschenk der heiligen Quelle des Lebens zu emfangen, um es leichtsinnig zu verschleudern, auf dass es gleich einem achtlos verworfenen Glaskrug in tausend Scherben zerschellt. Ich bin es nicht wert...

Er ist fortgegangen, mit den Bruchstücken jenes Bandes, das uns einst unzertrennlich aneinanderhielt und nun an einem letzten seidenen Faden hing. 'le mellin' weinte sein gebrochenes Herz, ehe Rachedurst sein Leid verbarg... le mellin, Farhedrel, ich werde dich immer lieben, wenngleich ich nicht wert bin, von dir geliebt zu werden. und kraftlos ließ ich mich von der Verzweiflung niederdrücken, gab mich auf unserer kalten, leeren Schlafstatt der Leere hin und wartete auf das Ende.

[...]

Das Ende kam nicht, nicht in meiner Hütte, nicht am nachtschwarzen Quell von Yew. Stattdessen schickte mir die Quelle Sidar, einen jungen Bruder-unter-den-Bäumen, dessen Herz von solcher Überzeugung erfüllt ist, dass keine Schande, kein Frevel groß genug sein mag, um ihn an seinen Idealen zweifeln zu lassen. Es mag jugendliche Unberührtheit sein, welche ihm diese Kraft verleiht - wenngleich ich ihm bloß um sechs Winter voraus bin - , es mag die Unerschütterlichkeit der Liebe sein, welche ihn so standhaft hält. Denn er beichtete mir, sich verliebt zu haben, in jenem Augenblick, als unsere Wege sich vor meinem Fall das erste Mal am Quell kreuzten, und es brach mir erneut das Herz, eine weitere Seele um meinetwillen unglücklich zu sehen.

Ich war an jenem Morgen zum Quell gekommen, um den Eid zu lösen, dessen ich mich unwürdig glaubte, um der heiligen Quelle zu entsagen, deren Tochter zu sein ich nicht länger zu behaupten wagte. Allein meine Kraftlosigkeit hatte mich noch daran gehindert, den Ring der alten Druiden fortzuwerfen, in den dunklen Quell oder tief hinab ins Meer, welcher in meinen Augen ein Symbol für meinen bisherigen Weg ist. Allein Sidar habe ich zu danken, dass ich ihn immernoch trage. Auch sein Weg soll der Weg der heiligen Quelle sein, und unfähig, die Augen vor seinem Leid zu verschließen, nahm ich ihn in die Lehre, um ihm nahezubringen, was er in seiner Standhaftigkeit besser vollbringen mag, als ich...


Es linderte Sidars Leid, mich nicht länger vollends gebrochen zu sehen, und ich mühte mich, ihn zu lehren, was ich für mich verloren glaubte. Doch bald spürte ich, dass ich zu schwach bin, meine Schuld durch die Welt zu tragen, all jenen in die Augen zu sehen, die mich schätzen und hoch in Ehren halten. Zudem graute es mich vor einem neuen, unvermittelten Zusammentreffen mit Lamiosa, denn tief in meinem Herzen fürchte ich meine eigene Schwäche, welche mich zu neuerlichem Verrat führen mag... Ich habe Zuflucht gesucht unter dem Dach meines lieben Freundes Seymore, dem Zwergenschmied, dessen Geist aus glattem Felsgestein jeder Gefahr, jeder Schmach mit Leichtigkeit zu trotzen scheint.

Diese Zeilen schreibe ich im Schlafgemach über der Zwergenhalle, in welcher ich der Leere in meinem Herzen zu entrinnen versuchte... vergeblich, wie es scheint. Ich finde keinen Schlaf, und die endlose Gram schwächt mich, das Aufstehen fällt mir schwer. Zu meiner Seite brennt ein Licht, welches mir erlaubt, bei Nacht zu schreiben. Sidar brachte mir diese kleine Laterne, und seither brennt sie ununterbrochen. Ich klammere mich an das schwache Leuchten, wie an ein Stück Treibholz auf dem offenen Meer, wo kein Land am Horizont zu sehen ist. Es ist der Inbegriff dessen, was mich am Leben hält, jene verschwindende Hoffnung, dass die Quelle Farhedrel sicher leitet, ohne sein Leben zu fordern, für den Verrat, den ich begangen habe.


[...]

*Die Niederschrift scheint unterbrochen und an einem anderen Tag forgeführt worden zu sein. Die folgenden Zeilen verlaufen gerader und in saubereren Buchstaben, beinahe steif, das Papier ist in diesem Abschnitt weniger gewellt.*

Vier weitere Tage sind vergangen. Meine Finger sind klamm, und gelobt sei der fleißige Tom Minog für seine trefflichen Mäntel, die nun um meine Schultern liegen. Doch ich habe den Kamin angefeuert, und ich warte auf die Wärme, welche bald meine Hütte zurückerobern sollte. Ja, ich bin zurück, dort, wohin ich gehöre, von wo ich nie hätte fortgehen dürfen. Die Welt dreht sich weiter, während ich vor meinem Gram fliehe. Das hatte mir das Kommen meiner kleinen großen Schwester nur zu deutlich vor Augen geführt.

Ich versuchte, mich vor meinem eigenen Leid zu verstecken, während das Unheil dort draußen nicht schläft... Mein Herz versagte mir bald seinen Dienst, als die kleine Dalilah mir berichtete, wie sie in die selbe Falle ging, die mir zum Verhängnis geworden ist. Die liebe kleine Dalilah, ein Kind in Leib und Seele und doch um so vieles weiser als ich, hatte sich den Verlockungen dieser... Kreatur der Lentis gegenüber gesehen, allein, ungeschützt. Ihre körperliche Jugend bewahrt sie vor jener Hölle, die so bald auf meinen Frevel folgte, mag sie noch Jahrzehnte davor bewahren, und gefährdet sie in gleicher Weise. Denn Dalilah wurde die größte Gabe der Quelle noch nicht zuteil, das Wahrhaftige, das Reine, das Unerschütterliche. Sie nennt die Verlockungen Lentis' Liebe, die dämonischen Gelüste einer falschen Göttin... bei den Bäumen, sie weiß es nicht anders, und ich vermag ihr den Unterschied nicht aufzuzeigen. Heilige Quelle, behüte meine kleine große Schwester, und lasse nicht zu, dass sie von ihrem Weg abkommt und in die Irre geht!

Denn eines habe ich nun erkannt: Es war nicht Lamiosa, welcher ich wie Dalilah erlag, nicht allein. Es hätte bessere Orte gegeben, um meinen Geist mittels einer Illusion zu bannen, als einen fensterlosen Raum in einem marmornen Tempel. Mich beschleicht die Gewissheit, dass wir zwischen den Schlachtreihen der großen Weltkräfte - andere mögen sie Götter nennen - stehen, von welchen die heilige Quelle nur eine der Mächtigeren ist. Es war Lentis selbst, die die Hand nach uns ausstreckte, an einem ihr verbundenen Ort fernab der Kraft des Lebendigen, in jener Stunde, in der das Wasser des Lebens versiegt, um neu zu entspringen.

Jedes Kind der Quelle wäre töricht, sich willentlich den Kräften entgegenzustellen, und ich ging Lentis, die andere eine Göttin nennen, unwillentlich in die Falle. Gedankenlosigkeit und Unachtsamkeit sind allein mein Vergehen, doch als ich Verrat an meinem und Farhedrels Leben beging, war ich nicht schwächer als jedes Kind der Quelle es gewesen wäre. Dieser Gedanke lindert meinen Schmerz, und ich wünsche mir mehr als alles andere, dass es mir gegeben ist, das Leid meines Liebsten mit dieser Erkenntnis gleichermaßen zu lindern.

Heilige Quelle des Lebens, mögest du nicht von Farhedrels Seite weichen, wie du nicht von mir gewichen bist, als ich dich fallen ließ. Erhalte ihm seine Hoffnung und führe ihn heim, denn er soll erfahren, was mich tröstet. Möge es unser Band erneuern, auf dass es das Ringen jener Mächte, die jenseits unseres Ermessens liegen, überdauere.

Ich lausche dem Lied des eisigen Windes, der unablässig um das Haus streicht. Ein neuer Klang mischt sich in sein endloses Klagen, Schritte im Schnee, iama ist unruhig. Jemand ist an der Tür. Meine Feder wird nun ruhen müssen...

*Die letzten Worte scheinen mit wachsender Unruhe geschrieben und wirken zerlaufen, als wäre das Pergament eingerollt, ehe sie getrocknet waren.*


Ylenavei

#6
[Rückblende von Januar 2006 bis Mai 2009, verfasst von Ylenavei]

Ein gellender Schrei. Gleich einem sengend scharfen Dolch durchschnitt er die Stille, bohrte sich unerbittlich tief in Ylenaveis Seele. Hastig keuchend fuhr die junge Waldelfe aus dem Schlaf. Während der Schrei in ihrem Innern noch nachhallte, begann ihre Umgebung langsam Gestalt anzunehmen. Ylenavei saß aufrecht in einem schmalen Bett, in jener schlichten Kammer, die ihr in den vergangenen Monden so vertraut geworden war. Wieviele Monde sie nun schon hier war, in den verborgenen Gewölben unter der Stadt der Meer, dem Hort der heiligen Quelle des Lebens, sie wusste es nicht. Tief unter den Bergen gab es weder Tag noch Nacht, jenseits der Jahreszeiten herrschte stets das gleiche, von Mondsteinen erhellte Zwielicht. Die verborgenen Hallen waren ein Ort der Geheimnisse und der Weisheit. In der gewaltigen Bibliothek zwischen tausenden und abertausenden von Büchern und Schriften hatte die junge Druidin viele Stunden verbracht, um nach der Anleitung der Quelle zu lernen, was nur wenigen jemals offenbar werden mochte. Wenn sie sich nicht in den Hallen der Bibliothek den Büchern widmete oder schlief, verbrachte Ylenavei ihre Zeit in den Gärten. Die Gärten mit ihren Wasserspielen und wundersamen Pflanzen ähnelten jenen Anlagen im zugänglichen Teil der Meerstadt, und sie spendeten der einsamen Waldelfe in den tiefen Gewölben Trost, wenn ihre Sehnsucht nach den Wäldern von Yew, nach jenen, die ihr lieb und teuer waren, und allem voran nach ihrem geliebten Gatten Farhedrel, sie zu sehr zu bedrücken drohte.

Langsam beruhigte Ylenaveis Atem sich, und das Klopfen ihres Herzens ließ etwas nach. Mit einem schweren Seufzer ließ sie sich auf das weiche Kissen zurücksinken. Die heilige Quelle hatte sie hierher zu sich geholt, um sie vor den all zu üblen Launen des Schicksals - oder vielmehr vor den finsteren Mächten der Welt? - zu schützen, und sie zu lehren, was nur die Zeit oder die Quelle selbst sie hätten lehren können. Und Zeit, so begann die junge Elfe nun zu begreifen, war in ihrer Heimat nun ein rares Gut. Jenseits der Zeit, in der Obhut der Quelle, war Ylenavei zwar allen äußeren Einflüssen und Gefahren verborgen, jedoch vermochte auch die Quelle des Lebens nicht zu verbannen, was in ihr war. Sie hatte gelernt, mit dem Heimweh umzugehen, ebenso wie sie gelehrt wurde, mit dem Fluch zu leben, der seit einer verhängnisvollen Begegnung am Strand von Trinsic auf ihrer Seele lastete. Seit die Druidin mit einer besiegten finsteren Kreatur in die Niederhöllen gerissen worden war, und das gebrochene Geschöpf seine Erlösung aufgegeben hatte, um ihr, Ylenavei, die Rückkehr in ihre Welt zu ermöglichen, bahnte sich der nie endende Todesschrei des Wesens immer wieder einen Weg an die Oberfläche ihrer Seele.

Dieses Mal war da jedoch eine behagliche, beruhigende Wärme, welche die Waldelfe umfing. Sanft strich ihr etwas über das Haar, und nun drangen leise Vogelstimmen an ihr Ohr. Sie war nicht in den geheimen Hallen der Quelle. Sie war in Yew, in ihrem Heim in den nördlichen Fjorden, und der Tag war noch so jung, dass er kaum Helligkeit zu spenden vermochte. Schläfrig schmiegte die junge Elfe sich in Farhedrels dargebotenen Arm. Auch ihr Gemahl war hier. Seine Wärme schenkte ihr Sicherheit und Frieden, und vertrieb die Schrecken der Vergangenheit aus ihren Träumen.

Ylenaveis Gedanken wanderten zurück, während sie so vor sich hin döste. So viel war geschehen, seit ihr totgeglaubter Gemahl unter die Lebenden zurückgekehrt war, seit die fürchterliche Göttin Lentis und ihre Priesterin in jener düsteren Mittwinternacht um Haaresbreite Farhedrels und ihr Leben zerstört hätten, seit sich das Band ihrer Liebe gegen die Mühlen der großen Kräfte hatte behaupten können.

[...]

Der Triumph über jenes Mahlwerk hatte ihnen eine unbändige neue Kraft gegeben.
Farhedrel hatte den Eid der Lanowar erneuert und den Kreis der Lanowar, welcher mit Quellhain seinen Untergang gefunden hatte, wieder zum Leben erweckt. Die neu ernannten Waldhüter hatten ihn als ihren Hauptmann angenommen und waren ihm seither mit ungebrochener Loyalität gefolgt. Auch sie, Ylenavei, selbst hatte den Eid der Lanowar abgelegt, nachdem die Geschwister-unter-den-Bäumen sie ihrer Jugend zum Trotz zur Stimme Yews gewählt hatten. In jenen Tagen hatte sie bereits zahlreiche Reisen zu den anderen  Völkern Drakovias gemacht und verschiedenste Kontakte geknüpft gehabt. So zurückgezogen, wie die Waldelfen bis zu jener Zeit gelebt hatten, mochte dies allein die Geschwister zu einer solchen Wahl bewegt haben. Hätte sie damals geahnt, was diese Wahl für ihre Zukunft bedeuten sollte, die junge Waldelfe hätte womöglich sehr viel tiefgründiger darüber nachgedacht, ob sie sie annehmen wollte.

Der Winter war noch jung und von Lentis geschlagenen seelischen Wunden erst frisch verheilt gewesen, als die grausame Halbdämonin Laylah in Ylenaveis Leben getreten war, mit dem Ziel, die Insel Drakovia ihrem Willen und ihrer Macht zu unterwerfen. In Unwissenheit hatte die Druidin eigenhändig des Fesseln des finsteren Geschöpfs gelöst, und sofort hatte die Halbdämonin nach der Seele Farhedrels gegriffen, um sich daran zu stärken. So sehr der tapfere Elf auch gekämpf hatte, es hätte für ihn kein Entrinnen gegeben, wäre seine Seele nicht freigekauft worden. Was niemand in Yew, niemand auf Drakovia auch nur in Erwägung gezogen hätte, hatte jenes kleine Mädchen, welches Ylenavei wie eine Schwester geliebt hatte, ganz allein erkannt und auf sich genommen.

Die junge Hochelfe Dalilah, ein Kind noch von Gestalt, doch von größerer Tapferkeit als viele Fürsten und Krieger, hatte ihren Leib und ihre Seele Laylah in die Hände gegeben, auf dass Farhedrel von seinem Fluch freikam. Die Halbdämonin jedoch hatte dieses Versprechen nicht lange gehalten. Vor Ylenaveis Augen hatte sie versucht, Farhedrel mit einem magischen Blitz zu erschlagen, doch - der heiligen Quelle sei auf immer Dank - sie hatte die Ströme des Lebens unterschätzt. So war es der jungen Druidin gelungen, ihren geliebten Gemahl von der Schwelle des Todes ins Leben zurückzurufen. Wie sich bald herausgestellt hatte, hatte der Blitzschlag zu alldem Farhedrels verborgene magische Gabe geweckt.

Während Farhedrel den Umgang mit seinen neuen Kräften übte, hatte Laylah bereits neues Übel ersonnen. Sie hatte einen Pakt mit den Drow geschlossen, und die Seele der kleinen Dalilah in den Leib eines Drow-Mädchens gefesselt, welches sie der damaligen Hohepriesterin als Tochter zur Seite gestellt hatte. Dieser Schachzug hatte nicht nur einstige Freunde zu Feinden machen sollen, er hatte ebenso die herrschende Drow-Dynastie stärken und stabilisieren sollen. Tatsächlich war die Macht der damaligen Hohepriesterin Lamiosa in jenen Tagen erdrückend gewesen, doch wenngleich es damals niemand ahnte, war die Ankunft Dalilahs in der Gestalt der Drow-Prinzessin T'Armas der Anfang vom beinahen Ende der Drow unter Drakovia gewesen.

In langen Monden hatten die Kinder der Quelle in Yew sich dem wachsenden Schatten ihrer dunklen Geschwister aus dem Unterreich entgegengestellt, gekämpft, gelitten, gehofft und gebangt. In jenen Tagen, so erinnerte sich Ylenavei, hatte sie die zerstörerische Macht der Ströme des Lebens kennen und lenken gelernt, bis es ihr schließlich gelungen war, die Magie der Hohepriesterin selbst von Yew in die Finsternis zurückzudrängen.

In jenen Tagen hatte sich schließlich die heilige Quelle des Lebens selbst ihren Kindern offenbart und ihnen Zugang zu ihren verborgenen Kammern in den Felsen tief unterhalb Yews gewährt. Mit der Kraft des Wassers des Lebens hatten sie Yew in neuem Glanz erblühen lassen, und die Kunde, dass in den Wäldern Gewaltiges vor sich  ging, hatte sich in ganz Drakovia verbreitet, bis hinab in die Grotten der Drow. Es hatte unter den dunklen Geschwistern einige gegeben, die sich von dem Wunder hatten ergreifen lassen, und Ylenavei hatte sie zur Quelle des Lebens geleitet, um sie in die Gemeinschaft der Geschwister-unter-den-Bäumen aufzunehmen.

Je mehr die Macht der Drow in jener Zeit zu schwinden begann, desto deutlicher wurde, wie sehr Laylah und ihre dunklen Verschworenen die kleine Dalilah unterschätzt hatten. Ein Teil ihrer Seele war immer in T'Armas, der Drow-Prinzessin, lebendig geblieben, hatte sich nach der Oberfläche, ihrer Heimat, zurückgesehnt. Wie oft hatte sie in aller Heimlichkeit einen Weg nach Yew gesucht, um Ylenavei Kunde zu bringen von dem, was in der Dunkelheit des Unterreichs geschah. Schließlich, nach langem Ringen, war es diese Seele Dalilahs gewesen, die ihren falschen Leib dazu bewegt hatte, sich den Waldelfen und ihren Gefährten in Yew auszuliefern, um dem finsteren Treiben der Halbdämonin Laylah ein endgültiges Ende zu bereiten.

Der Streich mit dem blau schimmernden Zeremoniendolch der Stimme Yews, welchen Ylenavei gegen ihre erbitterte Feindin und Freundin in einem geführt hatte, hatte nicht nur die Existenz der Halbdämonin beendet, sondern ebenso einen Tiefpunkt der Macht der Drow markiert. Denn nachdem die Hohepriesterin Lamiosa ihrem eigenen Größenwahn zum Opfer gefallen war, hatte mit dem Tod ihrer Tochter auch ihre Nachfolgerin ein jähes Ende genommen, und die dunklen Geschwister hatten sich in den Wirren eines Machtkampfes in die tiefe Dunkelheit ihrer Grotten zurückgezogen.

In Yew hingegen war eine Zeit des Friedens und der Blüte angebrochen. Immer neue Geschwister hatten sich aus den tiefen Wäldern hervorgewagt oder waren über das Meer gekommen, und in zahlreichen Werkstätten unter den großen Bäumen hatte sich reger Betrieb eingestellt. Es war eine Zeit des Handels und des Aufbaus gewesen, doch auch eine Zeit der Pflege von Beziehungen und des diplomatischen Konflikts. Nicht alle Völker Drakovias hatten das Aufblühen Yews mit Freuden beobachtet, und es hatte Ylenavei viel Energie gekostet, Anfeindungen zu begegnen und Zweifel zu zerstreuen. Besonders in jenen Tagen war Tyl Sanadar, der Erste der Hochelfen von Magincia, ihr eine unersetzliche Stütze gewesen.

Doch das Schicksal hatte die Völker schneller als erwartet erneut zur Zusammenarbeit gezwungen. Als der Eine, der Dunkle, der Erzfeind alles Lebenden, an seinen Fesseln in den Niederhöllen zu rütteln begonnen hatte, war ganz Drakovia von diesem Aufbäumen der Finsternis erschüttert worden. Die junge Druidin überlief jedes Mal ein Schauer, wenn sie an jenen verhängnisvollen Tag zurückdachte, an welchem sie mit einigen Gefährten nach Trinsic geeilt war, um nach einem von der Finsternis beschworenen Feuerhagel Hilfe zu leisten. An jenem Tag war sie im Kampf mit einer dunklen Kreatur in die Fänge des Einen geraten, in einem endlosen Sturz in die Niederhöllen gerissen worden.

Ylenavei schauderte, als sie daran zurückdachte, dass sie ihr Leben und ihre Freiheit einzig der Tatsache verdankte, dass niemand, auch nicht der Eine selbst, diesen Weg für sie vorgesehen hatten. Jener Diener des Dunklen, mit dem sie in den ewigen Schatten gerissen worden war, hatte mit seinem Herrn gebrochen und zur Sühne seiner Schuld sein Dasein für sie, Ylenavei, geopfert. Sein Ende hatte der jungen Waldelfe ermöglicht, in ihre Welt zurückzukehren, ehe dieser Weg ihr für immer verschlossen gewesen wäre. Der endlose Todesschrei, mit welchem die Kreatur fortan durch die Niederhöllen stürzte, hatte sich jedoch in Ylenaveis Geist gebrannt. Im Schlaf, oder in geistiger Umnachtung vermochte er bis zum heutigen Tage erneut aus ihrem Inneren hervorzubrechen und den Schrecken jenes Tages wachzurufen.

Die Geschehnisse bei Trinsic waren jedoch bloß der Beginn einer Zeit des Ringens zwischen Leben und Finsternis gewesen. Die Regung des Einen in seinem dunklen Gefängnis hatte die großen Kräfte dazu bewegt, einen ersten Schritt zur Erneuerung seiner Fesseln zu tun. Seltsame Boten waren des Nachts in Yew erschienen und hatten die junge Druidin dazu bewegt, auf den uralten Pfaden in das vergessene Land Râr zu wandern. Eine ganze Nacht hindurch hatte sie, düstere Verfolger im Nacken, sich verschiedensten Prüfungen und Hürden gestellt, um schließlich die Wunder jener zeitlosen Oase des Lebens mit eigenen Augen zu sehen. Die unbeschreibliche Herrlichkeit der Macht der heiligen Quelle an diesem Ort hatte sie schier überwältigt und zutiefst berührt, und Ylenavei hatte sofort gespürt, dass jene Aufträge, die Azrael, der Bote der großen Kräfte, ihr dort erteilte, zu Lebensaufgaben werden sollten.

[...]


Ylenavei

#7
Behaglich in Farhedrels wärmenden Arm geschmiegt lauschte die junge Waldelfe in sich hinein. Sie spürte die stärkende wärme der geballten Macht der Ströme des Lebens, welche in dem kleinen Runenbeutel zwischen ihren Brüsten ruhte. Der Bote der großen Kräfte hatte ihr diesen Schlüssel zu den Fesseln des Einen Dunklen in jener Nacht in Râr anvertraut, und sie würde ihn hüten und vor allem Übel bewahren, bis der Tag kommen mochte, an welchem alle Schlüssel zur Erneuerung des Bannes über die Niederhöllen wiedervereint würden.

Ylenavei wusste, dass ihre Reise nach Râr sie zutiefst verändert hatte. In jener Nacht war ihr neben der unbeschreiblichen Schönheit Rârs uraltes Wissen offenbar geworden, welches ihr Bild der Welt noch im Laufe der folgenden Monde grundlegend verändert hatte. Ein geheimnisvoller Glanz lag seit jener Nacht in ihren Augen, welcher auch den damaligen Bewohnern Yews nicht verborgen geblieben war, und mit größter Ehrfurcht trug die junge Druidin seither jenen Beinamen, der sie für immer mit jenem Ort der Wunder verbinden würde. Der Bote hatte sie dereinst so genannt, und seither lautete ihr Name Ylenavei'râr.

Erneut glitten die schläfrigen Gedanken der Waldelfe in die Vergangenheit zurück. Nach ihrer Rückkehr aus Râr war eine Zeit voller Wirren und Unsicherheit gefolgt. Verfolgt von den Schrecken der Niederhöllen und mit der Last großen Wissens beschwert hatte Ylenavei nur mit Mühen Schlaf gefunden, in einer Zeit, in welcher das Regen des Dunklen in allen Reichen Drakovias Harm und Zwietracht sähte. Eines Nachts schließlich hatte ein Wahrtraum die junge Druidin ereilt. Die heilige Quelle selbst hatte sie zu sich gerufen, und Ylenavei war in die tiefen Gewölbe unter den Wäldern Yews hinabgestiegen, um dort vom schützenden Mantel der lebenspendenden Ströme umfangen zu werden. In langen Monden hatte sie in jenen Hallen gelebt, welche sie in heutigen Tagen wieder in ihren Träumen sah. Sie hatte das gewaltige Wissen, welches ihr in Râr zuteil geworden war, zu begreifen und mit ihrer seelischen Narbe aus den Niederhöllen zu leben gelernt.

Nach dieser langen Zeit des Lernens hatte die heilige Quelle sie unvermittelt nach Yew zurückgesandt. Bei ihrer Rückkehr hatte sie in Farhedrel einen fähigen Runenmagier vorgefunden, von Gram gebeugt über ihr plötzliches Verschwinden für so lange Zeit, jedoch ebenso glücklich über ihre Wiedervereinigung wie sie selbst es gewesen war.

Die folgende Zeit war von schwierigen Aufgaben geprägt gewesen. Die Geschwister-unter-den-Bäumen waren von den Monden der Ungewissheit erschöpftgewesen, und hatten sich ebenso dankbar wie erfüllt von Erwartungen gezeigt, als Ylenavei ihnen nach ihrer Rückkehr aus den Hallen der Quelle wieder gegenüber gestanden hatte. Zunehmende Drow-Aktivitäten waren in jenen Tagen nur eine Sorge der Stimme Yews und des Ersten Waldhüters gewesen. Auch das Regen der Finsternis war nicht verstummt.

Ein schweres Beben hatte die See vor Drakovia erschüttert, und eine gewaltige Flutwelle war über die Wälder von Yew hereingebrochen. Es war ihnen gelungen, die allermeisten Geschwister in den Hallen der heiligen Quelle in Sicherheit zu bringen, doch ein Großteil der Siedlung Yews war den Fluten zum Opfer gefallen.

Dem Schrecken dieser Erinnerungen zum Trotz schlich sich ein Lächeln auf die Lippen der jungen Druidin, als sie an die auf das Unglück folgenden Wochen zurückdachte. Der Wiederaufbau ihrer Heimat hatte die Geschwister erneut zusammengeschweißt. Sie hatten Yew nach Vorlagen aus den alten Schriften neu erblühen lassen, nahezu rein von den Einflüssen der telor, welche die Küste Yews bis zum Tage der Flut geprägt hatten. Der Enthusiasmus, mit welchem Handwerker wie Waldhüter an ihrem Heim gearbeitet hatten, hatten Ylenavei mit Wärme erfüllt. Das Schicksal schien es nun endlich wohl zu meinen.

Doch wie so oft hatte die junge Waldelfe sich geirrt, was die wilden Launen des Schicksals betraf. Sie und Farhedrel hatten eine Reise angetreten, um eine nicht gar zu weit entfernte Insel zu besuchen, auf welcher gemäß alten Aufzeichnungen ebenfalls Kinder der Quelle leben sollten. Sie hatte gehofft, dort Ersatz für einige in der großen Flut verlorengegangenen Schriften aus der alten Bibliothek zu finden. Allerdings hatten sie jene Insel nie erreicht. Während sie zur Nacht in einem Hafen der telor lagen, waren sie der verhängnisvollen Einladung gefolgt, welche zu dem Ereignis geführt hatte, das Ylenavei nach wie vor zutiefst grämte.

Im Glauben, einem Dienst der Höflichkeit nachzukommen, hatten sie und Farhedrel die Einladung des telor-Fürsten jener Hafenstadt angenommen und in seinem Haus gespeist. Die junge Druidin vermochte nach wie vor nicht zu sagen, was sie beide an jenem Abend dazu getrieben hatte, in die Gestalten ihrer Seelentiere zu schlüpfen, und was sie so viele Winter lang daran gehindert hatte, diese wieder zu verlassen. Den Fängen des hinterhältigen tala waren sie rasch entkommen, doch in Gestalt von Katze und Bär hatte sich die Heimreise nach Yew zu einer wahren Odyssee entwickelt.

Eine Schiffskatze war von den allermeisten Seeleuten gern gesehen, und es hätte ihr gewiss keine Schwierigkeiten bereitet, auf einem Segler nach Drakovia Unterschlupf zu finden. Doch Ylenavei hatte es nicht über sich bringen können, sich erneut von Farhedrel zu trennen, nachdem das Schicksal sie so oft auseinandergerissen hatte. So hatte das ungewöhnlich anmutende Paar gemeinsam seinen Heimweg gesucht. Der seltsame, auffallend zahme Bär hatte rasch die Aufmerksamkeit der telor erregt, und so war er - als Bestie zur Bewachung von Haus und Hof wie auch zur Belustigung seiner Herren oder von Jahrmarktgästen - durch die verschiedensten Hände gegangen. Die kleine weiße Katze mit den Bernsteinaugen war nie von seiner Seite gewichen. Bald hatte Ylenavei gelernt, Mäuse und andere kleine Tiere zu fangen, um sich zu ernähren und Farhedrels 'Herren' einen Grund zu geben, auch sie zu dulden.

Nach fünf Wintern des Umherirrens in der Welt der telor hatte Farhedrels unstillbarer Hunger schließlich seinen derzeitigen 'Meister' dazu bewegt, den Bären erneut zu verkaufen. Der Quelle sei Dank schien der tala kein Interesse daran gehabt zu haben, seine Fleischvorräte zu ergänzen, sondern vielmehr dem Glanz des Goldes verfallen zu sein. So hatte er eine nahen Hafen der Waldelfen angesteuert, wohl in der Hoffnung, dass die Bewohner der Wälder unter keinen Umständen zulassen würden, dass ein Wildtier in den Händen der telor zurückbliebe.

Ylenaveis kleines Katzenherz hatte einen Sprung getan, als sie den Hafen der Wälder von Yew erkannt hatte, und eine Flut von Erinnerungen an ihre einstige Heimat hatte sie überspült, begleitet von vagen Gefühl der Furcht vor der Zukunft, die sie dort erwartete. Die Geschwister-unter-den-Bäumen hatten den tala rasch davon überzeugt, nebst dem Bären auch seine Katze nach Yew zu verkaufen, und es war ihnen nicht lange entgangen, dass sie keine gewöhnlichen Tiere, sondern vielmehr zwei ihrer Geschwister vor sich hatten.

In gemeinsamer Anstrengung hatten die Geschwister in Yew sogar einen Weg gefunden, sie beide aus dem Gefängnis ihrer Seelen-Gestalten zu befreien. Eine Woge der Dankbarkeit seitens der Geschwister hatte die junge Druidin überschwemmt, als sie endlich in ihrer elfischen Gestalt vor ihren Rettern gestanden hatte. Die Freude Gildins und Tyl Sanadars sowie der vielen unbekannten Gesichter hatten Unbehagen und Zweifel fortgespült. Winter um Winter hatten die Freunde auf ihre Rückkehr gehofft und gewartet, und nun war sie endlich wieder daheim, im Kreise der Kinder der Quelle, unter den hohen Bäumen Yews.

Das Gefühl des Glückes und der Freude hatte nur noch übertrumpft werden können, als Ylenavei und Farhedrel sich endlich wieder in den Armen lagen, nachdem sie seine Befreiung aus der Bärengestalt in der trauten Zweisamkeit ihrer alten Hütte vollzogen hatten. Wie lange war ihnen diese innige Nähe durch ihre so unterschiedlichen Tiergestalten verwehrt gewesen. Wie lange hatten sie um ihre Rückkehr gebangt. Und nun waren sie endlich wieder vereint, an jenem Ort, welcher ihnen beiden eine Heimat geworden war.

Die folgenden Tage in Yew hatten gezeigt, dass die Freude der Geschwister über ihre Rückkehr jegliches Misstrauen, welches im Laufe der vergangenen Winter erwachsen sein mochte, überwog. So schienen die Erzählungen über Ylenaveis Wirken als Stimme Yews über all die Jahre lebendig geblieben zu sein, und die Geschwister schienen sie erneut als ihre Stimme annehmen zu wollen. Auch die Treue der Waldhüter zu ihrem Hauptmann Farhedrel schien nicht verloren und würde gewiss neu erwachen, sobald er seinen Gram über die vergangenen Winter überwinden und ihnen gegenübertreten würde.

Die junge Waldelfe seufzte leise und schmiegte sich enger an ihren Gemahl. Yew würde eine gute Zeit erleben. Das Schicksal versprach einen fruchtbaren, von Freude und Lebenskraft genährten Sommer. Doch dieser Tag war noch jung. Es war noch Zeit, bis sich die Sonne über die Wälder erheben würde, noch Zeit, um sich der erholsamen wärme des Schlafes hinzugeben... Ylenaveis Gedanken glitten langsam hinüber in die Welt der Träume.

Ylenavei

[Nachtrag vom 2.12.2009]

Wandeltage

Es war still in der kleinen Hütte in den Fjorden, sehr still. Ylenavei fragte sich, ob sie sich jemals an diese Stille gewöhnen würde. Das Meer brandete leise gegen das nahe Ufer, und es war kein Wind zu hören. Das Mondlicht erhellte die leblose Grasfläche vor dem Haus nur schwach, und dahinter ragten die kahlen Bäume gleich dunklen, schweigenden Skeletten in den Nachthimmel. Der Winter war nahe. Die Welt schien geradezu darauf zu warten, dass er sein schneeweißes Leintuch über sie legen und alles mit kristallener Reinheit bedecken würde.

'So endet ein weiterer Zyklus des Lebens', dachte die junge Druidin, während sie versonnen aus dem Fenster sah. Es schien ihr, als wären weitaus mehr als zwölf Monde vergangen, seit sie die letzte Mittwintersuppe gebraut hatten. Eine Ewigkeit schien jener Morgen zurückzuliegen, an welchem die Geschwister Yews sich nach durchwachter Nacht der neuen Sonne erfreuten und voller Zuversicht auf das Kommende gesehen hatten. Niemand hatte auch nur geahnt, was das Schicksal ihnen auferlegen würde. Auch sie selbst hatte sich den ermutigenden Versprechungen des neuen Lichtes hingegeben, dachte Ylenavei, ohne zu wissen, welch harte Prüfungen auf sie zukommen sollten.

Vielleicht war es gut so. Die junge Waldelfe trug die Bürde der Stimme Yews nun schon seit Jahren, und viele der Geschwister setzten all ihr Vertrauen in sie. Ihr Verzagen angesichts einer dunklen Zukunft hätte dieses Vertrauen verraten, noch ehe irgendetwas geschehen wäre. Nun verspürte die grünhäutige Druidin eine jähe Sehnsucht nach jenen Tagen des ersten Frühlingserwachens, als alles noch so gut und friedlich schien. Doch es hatte nicht sein sollen. Dieser Frühling hatte nicht ungetrübt zur Reife kommen sollen. Der Kummer der vergangenen Monde ließ einmal mehr ihre Seele beben, als Ylenavei den Blick auf das Papier in ihren Händen senkte. Die zierliche Schrift darauf verschwamm in den Tränen, welche augenblicklich ihre Sicht verschleierten. Sie blinzelte mehrfach, ehe sie die Zeilen, welche sie vor wenigen Monden erst verfasst hatte, noch einmal las.

...Der Sommer steht in voller Blüte, und Lebenskraft gedeiht in jedem Winkel Yews. Die blühenden Pflanzen, die geschäftigen Tiere im Wald, all das erscheint mir so unwirklich schön. Ich sehe die Welt mit anderen Augen, seit mich die Dunkelheit verschlang. Die Geschöpfe unserer heiligen Quelle erscheinen mir so viel kostbarer, und meine Freude an ihrem Anblick ist stets durchdrungen von Furcht um ihr Wohl.

Als in diesem Frühjahr der Schnee schmolz, zagte Yew, aus der tiefen Ruhe des Winters zu erwachen. Gleich Schläfrigen am Morgen hielten die Geschwister an den süßen Träumen von Glück und Frieden fest. Insgeheim beneide ich sie um diese Sorglosigkeit, wenngleich mich bereits in jenen Tagen düstere Vorahnungen mit Sorge erfüllten. Hätte ich geahnt, welche Schrecken uns erwarteten, vielleicht hätte ich einen schweren Fehler nicht begangen, und mir und den Geschwistern großes Leid ersparen können.

Doch wir waren ahnungslos an jenem Frühlingstag, als die Waldhüter die Drow-Priesterin aufgriffen, welche meinem Innersten, meiner nackten Seele, so nahe kommen sollte, wie kein Geschöpf zuvor. Ich glaubte mich bereits hilflos, als ich in unserem Verlies vor ihr und der Aufgabe stand, ihr den Freitod zu verwehren. Wie töricht war ich, zu glauben, die Drow wären fähig, die Auslieferung einer unversehrten Gefangenen als diplomatische Geste zu erkennen. Wie nachlässig war ich, das Wissen, welches wir hatten, nicht zu nutzen... Die Drow-Priesterin hatte ihren Namen genannt:

Alauniira Duskryn. Eine Tochter des herrschenden Hauses Duskryn. Wir waren so ahnunglos, als wir diesen Namen für unbedeutend nahmen. Auf ihrem Rücken unterschrieb ich mein eigenes Todesurteil, und ich danke der heiligen Quelle aus tiefstem Herzen, dass sie mir diesen Fehler so gnädig verziehen hat.

Nicht nur in meinen Leib ist jener schwarze Tag, an welchem die Folgen meines Fehlers über mich hereinbrachen, für immer eingebrannt. Wenn die Nacht kommt, wenn Dunkelheit und Stille sich über die Wälder legen, kehrt das Grauen zurück, die entsetzliche Leere, die zerrüttende Furcht vor nicht endender Pein... Die dunkle Spinnenfürstin Lloth hatte ihre Priesterinnen dazu befähigt, sich meiner zu bemächtigen. Aus dem Kreise der Waldhüter heraus holten sie mich zu sich, um mich dem zorn ihrer Fürstin auszuliefern. Alauniira selbst riss mir den Rücken auf, und sie warfen mich ihrer großen Schlange vor, ehe sie mich entblößt und blutend in ihre Stadt hinabschleiften.

In den Verliesen von Wind erfuhr ich, was Hilflosigkeit bedeutet. Nichts schützte mich vor dem Hass meiner schwarzen Geschwister, als ich nackt und zerschunden in den Ketten hing. Jeder Peitschenhieb, jeder Schlag mit dem Stab schien ein Stück von mir zu zertrümmern. Sie versuchten mich zu brechen, mich gefügig zu machen, doch ich klammerte mich verzweifelt am Widerstand im Namen meiner Schöpferin fest. Kein Geschöpf der Quelle ist eines anderen Besitz! Doch zuletzt war ich hilflos, und sie drückten ihr scheusliches Brandmal in meinen Körper, während ich, der Kontrolle über meinen Leib beraubt, wehrlos in Lloths Klauen hing.

Ich hatte nichts mehr, als Alauniira mir die Strafe zuteil werden ließ, welche ihr nach ihren Fehlungen in Yew drohte. Nackt, mit zerschundener Haut und vom Schmerz gelähmt sah ich mich selbst erdulden, wie sie nach und nach das Innerste meiner Seele freilegte. Selbst die Hoffnung auf das erlösende Meer der Ewigkeit war mir geschwunden, und ich begann, sogar das Ende zu fürchten, ein schmerzvolles Ende ohne Erlösung, ohne wiederkehr...

Heute glaube ich zu wissen, dass in dieser Furcht der rettende Hauch Allhanas lag, welcher mir den Willen gab, am Leben, und damit an meiner Bestimmung festzuhalten. Er hat mich entlang des Längsten aller Wege geführt, auf welchem meine Beine mich nicht mehr zu tragen vermochten, hinaus aus den Tiefen der Grotten, die schroffen Berge hinab, dem unerbittlichen Zug der Ketten folgend. Er hat mir das sanfte Lied des Windes zugeraunt, und den ewigen Schlaf hinfort getragen, als ich von allem anderen verlassen dem Ende entgegendämmerte. Allhana war in dem Gras, auf welches meine Geschwister, die mich befreiten, betteten, Allhana war in den sanften Händen, die meine Wunden pflegten, Allhana sandte mir ihre wundervollsten, tapfersten Geschöpfe, deren Kraft und Geduld ich meine so weit reichende leibliche und seelische Genesung verdanke...


Langsam entglitt das Pergament ihren bebenden Händen. Ihre weitreichende leibliche und seelische Genesung... Als sie diese Zeilen niedergeschrieben hatte, hatte die junge Druidin noch nicht begriffen gehabt, was in jenen Wochen wahrhaft unheilbar zerbrochen war, was bereits seit ihrer Rückkehr von ihrer verhängnisvollen Seereise keine Zukunft mehr gehabt hatte. Farhedrel. Nach den Jahren der Gefangenschaft in der Gestalt seines Seelentiers hatte er niemals wirklich zurückgefunden.

Die Gedanken an die vergangenen sechs Monde zerrten schmerzhaft an Ylenaveis Seele. All die Zeit hatte sie es nicht sehen wollen. Das Exil, das jahrelange Dasein als Bär auf See, hatte etwas in ihm brechen lassen, ihn seinem Leben als Waldelf und Allsai Yews entfremdet. Und sie, seine verbundene Gefährtin, die ihn so sehr liebte, hatte es nicht gesehen. Bereits wenige Wochen nach ihrer Heimkehr hatte sie die Amtsgeschäfte des Ersten Waldhüters übernommen, hatte sich eingeredet, es sei ein vorübergehender Schritt, bis Farhedrel zu sich finden und seinen Platz wieder einnehmen würde. Sie hatte es nicht gesehen, als sie hilflos der gefangenen Drow gegenüber stand, als sie in dem Versuch, einer Aufgabe gerecht zu werden, die nicht die ihre war, jenen so folgenschweren Fehler begangen hatte.

In den langen Tagen des Bangens und der Einsamkeit im Haus der Heilung hatte Ylenavei es nicht gesehen. Ebensowenig hatte sie gesehen, was an jenem einen Tag geschehen war, als Farhedrel an ihrem Krankenbett gestanden und ihr das Lächeln zurückgeschenkt hatte, das ihr in der Finsternis von Wind verloren gegangen war. Es war ein Abschiedsgeschenk gewesen. In jenem Augenblick, da sie, erschöpft und von Hoffnungslosigkeit gelähmt, in den herrlich funkelnden blauen Augen ihres Gefährten das Leben wiedergefunden hatte, war das brüchige Lebensband endgültig entzwei gegangen. Und sie hatte es nicht gesehen. Selbst als sie viele Wochen später die Flammen der Amanadra entzündete und den Geschwistern in Yew die Hoffnung wiedergab, hatte sie nicht gesehen, dass Farhedrel längst jenseits all dieser Hoffnung weilte.

Mit bebender Hand nahm die junge Waldelfe ein weiteres Papier auf. Die Zeilen dieses Briefes hatte sie nun so oft schon gelesen, dass sie sie selbst durch ihren tränenverschleierten Blick noch zu erkennen glaubte:

Geliebte Ylenavei,
Wenn du diese Zeilen liest, wird meine Seele hoffentlich Frieden haben in dem Leben, welches mir die letzten Jahren so viel näher war als das Leben in Yew. Ich habe nie diese unglaubliche Kraft, dieses unerschütterliche Vertrauen in unsere heilige Quelle besessen, welches dich von allen Wirren unseres Schicksals so wundersam hat genesen lassen. Und dennoch wende ich mich in diesem Augenblick mit jeder Faser meines Seins an Allhana, und bitte sie um Kraft und Liebe für dich, meine allraryl, auf dass du auch in der Zukunft deinen Lebensweg findest.

Dein Platz und deine Zukunft sind die Wälder von Yew und ihre Bewohner, die sich so vertrauensvoll um dich scharen. Sie brauchen dich, und es ist deine Bestimmung, ihr Geschick zu leiten. Halte an diesem deinem Weg fest, geliebtes Wesen, und lebe, für Yew, für die Geschwister, und für mich. Einst glaubte ich, es wäre mir gegeben, dieses Leben zu teilen, und es vor den Gräueln dieser Welt zu beschützen. Die Vergangenheit lehrte mich jedoch - wieder und wieder - dass ich mich irrte. Ich habe so viel Leid in deinen Augen gesehen, vor welchem ich dich nicht bewahren konnte, und es brach mir jedes Mal das Herz.

In den Jahren im Bärenfell fand ich schließlich erholsame Einfachheit, ein geruhsames Dasein ohne Gram und Schuldgefühle. Nachdem ich dich, meine Geliebte, dann endlich wieder daheim in Yew weiß, zieht es mich mit jedem Tag mehr in dieses geruhsame Leben zurück. Ich habe diesen Schritt vor mir her geschoben, als ich sah, was die Drow dir angetan hatten, wenngleich es mir ein weiteres Mal das Herz brach. Es ist dir bestimmt zu leben, Ylenavei, und ich würde niemals Ruhe finden, würde mein Handeln diesen kostbarsten aller Lebensströme zum Versiegen bringen. Ich habe all meinen wenigen Mut gebraucht, um dort im Haus der Heilung deinem Leid zu begegnen, und in jenem Augenblick, da ich erneut das Wunder des Lebens in deinen Augen lachen sah, wusste ich, dass mein Weg an deiner Seite zuende ist.

Ich werde in den Wald gehen und ein Bär sein, und in der Gewissheit, dass du leben und genesen wirst, meinen Frieden finden. Suche mich nicht, es würde uns beiden nur mehr Schmerz bereiten. Ich gebe dich hiermit frei aus unserer Bindung, auf dass du ohne Last deinen Weg gehen kannst, wie ich in Freiheit den Meinen gehe. Allhana möge dich leiten und schützen, und dir die Kraft geben, eines Tages glücklich zu werden.

In ewiger Liebe,
Farhedrel


Ylenavei ließ ihrem Kummer freien Lauf. Lange Minuten gab sie sich den Tränen hin, ließ sie den Schmerz und die Einsamkeit aus ihrem Innersten hinausspülen. 'Es ist gut, wenn du weinst', hörte sie die Erinnerung an Fionas Stimme über ihrem verschwommenen Geist, und gut tat es tatsächlich. Wochenlang hatte die junge Druidin es feriggebracht, den Brief zu übersehen, ehe sie ihn das erste Mal gelesen hatte, und es hatte vieler weiterer Tage und viele Stunden des Gesprächs mit Fiona bedurft, bis sie bereit gewesen war, loszulassen, bereit, sich von einem Lebensband zu lösen, welches gemäß allem, was sie gelernt hatte, unlösbar war. Und dennoch tat es weh, zerrten Einsamkeit und Leere an Ylenaveis Seele...

Ein leises Miauen ließ die Waldelfe aufsehen. So leer war die Welt nicht. Nicht nur Fynja, die kleine Katze, welche seit einiger Zeit ihre Hütte teilte, brauchte ihr Futter. Auch die Geschwister in Yew brauchten ihre Allleya, ihre Stimme, auf welche sie vertrauen konnten. Es war an der Zeit, alten Kummer zu begraben und neue Kraft zu finden. Langsam erhob Ylenavei sich, las die Papiere auf, und ging, Fynja ihr Futter zu holen und einige Dinge fortzuräumen, die hier nun niemand mehr benötigte.





Ylenavei

Sieben Jahre später....

Wie eh und je säuselten die grossen Bäume Yews das Lied des Windes, wölbten sich ihre mächtigen Kronen über der stillen Siedlung in ihrem Schatten. Wie eh und je lagen die kleinen Häuser eingebettet in das Grün des Unterholzes da, in all den Jahren kaum verändert, als hätten sie in einem tiefen Schlummer ausgeharrt.

So lange hatten die Wälder und Bewohner still auf sie gewartet, auf den Funken, der ihnen Leben gab, und nun, da Ylenavei von Allhanas Hügel auf ihre gewählte Heimat hinabsah, fühlte sie sich endlich weniger leer, weniger unvollkommen als die Jahre zuvor. Die heilige Quelle hatte sie an diesen Ort zurückgerufen, und, so wusste die junge Druidin nun, sie hatte gut daran getan diesem Ruf zu folgen.

Vor Jahren, als ihr Geist endlich begonnen hatte, Farhedrel loszulassen, hatte sich ein treuer Begleiter an ihrer Seite eingefunden, hatte einmal mehr die dunklen Stunden der Einsamkeit und Trauer mit ihr geteilt, hatte ihr Trost und eine schier unverwüstliche Liebe geschenkt, welche Ylenaveis blutendens Herz schliesslich erneut zum Singen gebracht hatte. Seit Allhana sie erstmals nach Yew geführt hatte, seit jener verhängnisvollen Nacht, da sie sich jeder Würde der Quelle zu dienen beraubt gefühlt hatte, kannte sie Sidar schon. Damals hatte der unerschütterliche Glaube des Jünglings sie davor bewahrt der Verzweiflung anheimzufallen. Und wann immer sich in den kommenden Jahren Dunkelheit über Ylenaveis Seele legte, war Sidar dagewesen um ihr als treues Licht zu leuchten. Vor gut sieben Jahren hatte sie endlich erkannt, wie sehr sie sich nach der Sicherheit dieser allzeit offenen Arme, diesem nie versiegenden Quell der Freude am Leben sehnte. Bald zwei Jahrzehnte nach ihrer ersten Begegnung hatte sie sich der Wärme ihres treusten aller Gefährten hingegeben und in dem Glück in seinen Augen neue Hoffnung gefunden.

Eine gebundene Seele kann jedoch nicht loslassen. In jeder Stunde, während welcher die innige Nähe zwischen ihnen beiden wuchs, wurde Ylenavei dies bewusster. Wo Glück und Hoffnung hätten gedeihen sollen wuchs in ihrem Herzen die Gewissheit, der absoluten Hingabe, die Sidar ihr entgegenbrachte, nicht gerecht werden zu können. Sie moch ihm ihr Herz schenken, doch ihre Seele würde auf immer Farhedrel gehören. Die stetige Erinnerung daran, die hinter jedem Baum Yews, in den Augen all seiner liebenswerten Bewohner lauerte, hatte die junge Druidin mehr gelähmt als Einsamkeit es gekonnt hätte. Schliesslich hatte sie versucht ihrer Unvollkommenheit auf den Weiten des Meeres zu entfliehen, hatte Yew und Sidars Liebe hinter sich gelassen, nur um rastlos in der Welt umherzuirren.

Allhanas sanftes Rufen hatte sie schliesslich zur Besinnung geführt, hatte ihr ein Ziel gegeben, welches Gnade versprach. Das Rufen war in ihren Träumen verborgen gewesen, und Ylenavei hatte Rat gefunden bei den Alten der Welt, den Meer. Mit neuer Hoffnung war sie heimgekehrt an den Ort, an welchen sie gehörte, der ihre Bestimmung war. Und Yew und seine Bewohner hatten auf sie gewartet, hatten sie freudig in ihre Arme geschlossen und der jungen Druidin ihr unvermindertes Vertrauen geschenkt. Selbst Sidars Glück sie wieder in seinen Armen zu halten hatte für den Augenblick Kummer und Kränkung niedergerungen.

Und schliesslich waren einige der treuen Seelen Yews Ylenavei auf den Weg zur endgültigen Freiheit ihrer Seele gefolgt. Gemeinsam hatten sie sich auf die Suche nach Allhanas Gnade gemacht, welche hier an diesem Ort, auf dem Gipfel des Quellhügels, an diesem milden Herbstabend, ihr Ziel finden sollte. Schon hörte die Druidin Schritte auf den Stufen am Hügelhang und leise Stimmen, die sich in das Rauschen der Wasserfälle mischten. Ylenavei raffte unruhig fröstelnd das wasserblaue Druidengewand um sich. Da kamen die Getreuen Yews, die sie insgeheim Geschwister nannte, um mit ihr gemeinsam Allhana gegenüberzutreten, ihrer aller heiligen Quelle, und sie um Gnade und Freiheit für ihre Seele zu bitten. In wenigen Augenblicken würde die lange Zeit des Schmerzes und der inneren Lähmung vorüber sein. Bald...





Ylenavei

#10
Tagebuch Ylenavei Deihlanas in der Zeit der Erneuerung

Die Nacht hat sich über die Wälder gelegt und Yew mit Stille bedeckt. Langsam, ganz langsam komme auch ich zur Ruhe und gewahre die Stille in meiner Seele. Es erscheint mir endlos lange vergangen, einem Lebensalter gleich, dass ich solche Stille, die Stille der Freiheit, gekannt habe. Allhana hat meine Seele freigegeben, mich von dem Band, dem salasandra, reingewaschen, das so lange zu Schmerz und Sehnsucht verkümmert auf meinem Innersten lastete.

Vor den Augen und Ohren meiner teuren Freunde, Gildin und Eofil, und unseres freundlichen Hochelfen-Gastes Baris, bin ich in ergebener Demut vor unsere Quelle getreten, habe Farhedrel in Frieden ziehen lassen. Was von Kummer verhärtet all die Jahre in meiner Seele gelastet hatte, wurde mit einem Mal weich, als der glühende Pfeil sich von meiner Sehne löste, als ich die Flammen aus dem kleinen Schiff, das Farhedrels Namen trug, auflodern sah. Mit dem letzten Holz des Quellhains, das in diesen Flammen verging, schmolz aller Groll gegen ihn in meinem Herzen, der aus meinem Kummer entstanden sein mochte, dahin, floss tränengleich davon.

Ich bin meinen Getreuen von tiefstem Herzen dankbar, dass sie in diesem Augenblick an meiner Seite weilten, dass ihre Freundschaft mich bei diesem tiefgreifenden Schritt Sicherheit spüren liess. So gab ich mich der heiligen Quelle hin, in diesem verletzlichsten Augenblick, da ich losgelassen hatte, was jahrzehntelang Mittelpunkt meines Lebens gewesen war.

Die Berührung Allhanas, das Eintauchen in das so göttlich erquickende Strömen, als ihre Wasser mich umarmten, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Die Augen meiner Getreuen, Spiegel des Singens ihrer Herzen, als sie Allhanas Grösse sahen, zeugten von der Gewissheit, dass sie die unbeschreibliche Heiligkeit dieses Augenblick ebenfalls gespürt hatten...

Die Erinnerung an jene Wärme und Freude, die unseren Kreis erfüllten, ist warme Zuflucht in der mir so fremden Stille, Zuflucht angesichts der Leere, die jenseits dieses heiligen Lichtes lauert.

Sidar ist nicht gekommen. Sidar, um dessentwillen mein Weg über jahrelange Irrfahrt auf den Hügel Allhanas geführt hatte, der mir Hoffnung auf ein neues Leben gab. Er ist nicht da gewesen, als ich mich für die Freiheit entschied ihn vorbehaltlos zu lieben, wie er es verdient. Doch nun bin ich allein, in der Stille meiner Hütte in den Fjorden, und in der neuen Freiheit lauert eine Leere, die sich um so beklemmender ankündigt, da sie mir ganz und gar nicht fremd ist...

*die Zeile endet etwas wackelig, ehe die nächste mit neuer Festigkeit beginnt*

Die Veränderungen des zurückliegenden Tages zollen ihren Tribut...die Müdigkeit greift nach mir..mit einer friedlichen Schwere, wie ich sie seit Jahren nicht mehr spürte...so ruhe diese Feder, wie meine Seele ruhen wird, bis sie beide zu neuen Kräften finden.


Ylenavei

#11
Ein langer, stiller Winter war über Yew gekommen und gegangen. Schnee hatte die sonst so grünen Wälder weiss bedeckt und die Welt in eine Stille gehüllt, die der Stille in Ylenaveis Herzen mit jedem Tag mehr geglichen hatte. Die Tage waren kurz gewesen, viel zu kurz, und die Nächte lang und einsam. Das gelöste Seelenband hatte im Innersten der jungen Druidin eine Leere zurückgelassen, die mit jedem Tag mehr darauf harrte wieder gefüllt zu werden.

Aus diesem Sehnen war ihr Antrieb entstanden nach dem zu suchen, was die drelina'ar, die Waldelfen ausmachte, nach den Wundern der alten Tage, auf welche sie einst Stolz empfunden hatten. Die Suche war nicht einfach gewesen, hatte doch die grosse Flut vor einigen Jahren so viele der alten Aufzeichnungen ihres Volkes unwiederbringlich fortgerissen. Doch schliesslich war es Henyai gewesen, der freundliche Kräuterheiler, welcher Ylenavei die Schriftrolle, ein altes Erbstück seiner Familie, welche ihren ersten bedeutenden Fund markierte, anvertraut hatte: Die alten Gebote Allhanas, wie die Quelle sie durch die Amanadra einst den ersten inar'ri, Urelfen, gelehrt hatte, als diese die Wacht über die lebenden Dinge übernommen hatten.

"Alles Leben ist heilig. Kein Geschöpf soll Mangel leiden. Allhanas Gaben sollen nicht verschwendet werden. Die Kraft der Gemeinschaft liegt in jedem Einzelnen. Kein Geschöpf ist eines anderen Besitz. Jedem Leben gebührt Schutz vor der Finsternis des Thar."

Nicht allein Ylenavei war in jenen Tagen bewusst geworden, welche Bedeutung in der Gemeinschaft der drelina'ar lag, der Gemeinschaft, die gemeinsam Wacht hielt, und Allhanas kostbare Gaben mit hoher Achtung ehrte. Schon bald hatten sich die Bewohner Yews von ihrer Suche anstecken lassen, und während die junge Druidin die Schriften studierte, hatten sie alsbald vielerorts Relikte des Yews ihrer Ahnen zu Tage gefördert.

So waren sie sich rasch einig gewesen, das ihre Gemeinschaft, die nach den alten Traditionen der inar'ri erblühen sollte, ein angemessenes Heim haben sollte, und rasch war die Stille des Winters allgegenwärtiger, emsiger Betriebsamkeit gewichen, in welcher ein jeder Waldelf sein bestes Können dazu beitrug, der Siedlung Yew ihr neues, ihrer Gemeinschaft würdiges Gesicht zu geben.

Die Tage voller Arbeit waren rasch vergangen, und der Frühling hatte den Schnee vertrieben und das frische Grün des neuen Yews mit ersten zarten Blüten überzogen. Ylenavei stand im Garten ihrer Hütte in den Fjorden und lauschte dem Rauschen des Meeres, dem Lied des Windes in den noch kahlen Ästen der nahen Bäume. Das gedrungene Gebäude, welches ihr jahrzehntelang ein vertrautes Heim gewesen war, lag nun leer und abweisend da, ausgeweidet und von jedem persönlichen Zug befreit.

Die Bewohner Yews hatten ihrer Stimme ein wundervolles Geschenk gemacht. Im Zuge der Bauarbeiten im Herzen der Wälder hatten sie ihr ein neues Heim errichtet, hatten ihrem Wunsch Gestalt gegeben, ihre Allleya nahe bei sich wissen zu wollen. Voll Entzücken und inniger Wärme für ihr treues Volk hatte Ylenavei diese Kunde aufgenommen und alsbald begonnen ihre Habe in die Nähe der ihren abtransportieren zu lassen. Doch nun, da der Frühling an Kraft gewann und die Bauarbeiten sich dem Ende neigten, wurde ihr nun gewahr, was es hiess Abschied zu nehmen.

Die Hütte in den Fjorden war der jungen Druidin Zuflucht gewesen, als sie nach zielloser Fahrt einsam auf Drakovia gestrandet war. Später hatte sie hier all die glücklichen Tage mit Farhedrel geteilt, hatte Ruhe gefunden vor den überwältigenden Aufgaben der Stimme. Endlose Monde und Jahre hatte ihr Herz sich hier nach ihrem fernen Gefährten gesehnt, als Farhedrel ihr gemeinsames Leben zu fliehen begonnen hatte. Und schliesslich war eben hier die lange Freundschaft mit Sidar zu hoffnungsvoller Liebe gereift, um nun neuerlicher Einsamkeit zu weichen.

In den ersten Tagen des eben vergangenen Winters war Sidar zuletzt in der Hütte gewesen, in einer viel zu kurzen Nacht, ohne Gelegenheit zu verstehen, was sie beide bewegte. Seither hatte ihn niemand mehr in Yew gesehen. Und nun, da Ylenavei vor ihrer leeren Hütte stand und in die Stille lauschte, welche die bereits fortgebrachten Tiere hinterlassen hatten, wurde ihr das Herz so schwer. Mit diesem Heim würde sie einen Teil ihres Lebens hinter sich lassen. Und zu diesem Teil mochte ebenso die Liebe gehören, welche Sidar und sie verbunden hatte. Ihr Herz weinte, weinte ob der Ungewissheit, die sich fortwährend in bittere Erkenntnis wandelte,doch es schien der Allleya Schicksal, ihre Bürde, zu sein, ihren Weg allein zu gehen...

Ylenavei

Ein eiskalter Windhauch riss die junge Druidin aus ihren kummervollen Gedanken. Sie fröstelte in ihrem ärmellosen Oberteil, welches sie für die Umzugsarbeiten an diesem warmen Frühlingstag gewählt hatte. Stand ein unvermittelter Wetterumschwung bevor? Ylenavei sah sich um, als sich ein Schatten aus dem Gesträuch des Stallhügels löste und, während er der Gartenhecke entgegenstrebte, festere Gestalt annahm. Tiefrotes Lederrüstzeug hüllte eine schlanke, ebenholzfarbene Frau ein. Ihr fein geschnittenes Gesicht mit den roten Augen, das von wallendem, schneeweissen Haar umrahmt wurde, verzerrte sich hasserfüllt, als ihre Blicke sich trafen. Ylenavei spürte, wie eiskaltes Entsetzen ihr Herz umklammerte. Dies war immernoch ihr Heim...wie bei allen Bäumen Yews hatte Alauniira hierher gefunden? Die Druidin spürte mehr, als dass sie hörte, wie ihr Schrecken auf den treuen Gaman übergriff, welcher nur wenige Schritte entfernt mit ihrer letzten Habe wartete. Das Tier begann wütend knurrend an seinem Strick zu ziehen, als die Drow-Priesterin, dem Wahn verfallen, sie beide mit Hass und Hohn überzog.

Als sich um die schwarze Hand der Drow eine flammende Kugel zu bilden begann, mehrte sich Ylenaveis Entsetzen nur. Bar jeder anderen Waffe griff sie nach den Strömen des Lebens, sandte sie nach der Hecke, die zwischen der Angreiferin und ihr samt dem Gaman lag, liess sie dichter und höher spriessen.... Die Druidin keuchte auf, als der Feuerball in die Hecke traf und die wütenden Flammen das Leben, ihre Ströme in dem Grün verschlangen. Taumelnd liess sie die Ströme fahren. Panisches Brüllen des Gamans drang an ihr Ohr, und sein Schatten, als das gewaltige Tier fluchtartig über den unverbrannten Teil der Hecke setzte, klärten Ylenaveis Sinne. Vor Verzweiflung bebend sah sie den Gaman nun gänzlich ungeschützt vor weiteren Feuerbällen scheuen, die vor seinen Hufen Gras und Kraut versengten. Der Anblick der verzehrenden Flammen, die Erinnerung an ihr schmerzhaftes Wüten trieb der jungen Waldelfe die Tränen in die Augen, und ehe ihr Geist einen klaren Gedanken fand, fand sie sich vor dem Gartentor und der brennenden Hecke, verzweifelt nach Allhanas Strömen suchend.

Soeben ergriff der Gaman endgültig die Flucht. Ylenavei fand die Macht, und ihr aufgebrachter Wille liess Ranken aus dem Boden schiessen, die sich um den Leib der wütenden Drow schlangen. Sie zog zu, und Alauniiras Winden in den grünen Fesseln begann zu ersterben.

"Dies ist mein Heim, und Allhanas Reich!", schleuderte sie der Dunklen in aufwallendem Zorn entgegen, "geh zurück in deine Hölle...hier herrscht das Leben!" Die Gedanken der Druidin flogen zu ihrem Leibwächter, der irgendwo auf dem Dach der Hütte sein musste, während sie, die Ströme fest im Griff, einen Schritt auf ihre Gefangene zu machte. Jetzt war es an der Zeit für einen seiner präzisen Pfeile.

Doch der Hüter kam nicht zum Schuss. Ehe Ylenavei blinzeln konnte, kam Bewegung in die dunkle Priesterin. Mit einer einzigen wütenden Bewegung war sie von den Ranken frei. Sie hatte sie getäuscht, war der Kraft der Ranken von Beginn weg entronnen, erkannte die junge Druidin voller Entsetzen, als die rasende Dunkelelfe sich mit einem Wutschrei auf sie stürzte. Mit dem blossen Arm wehrte Ylenavei den heranstürzenden Dolch ab. Rasender Schmerz liess sich aufschreien, als die Klinge ihren Unterarm traf. Sie duckte sich verzweifelt, und der zweite Stich drang oberhalb des Ellbogens in ihren Arm. Erst dann kam sie frei. Die fahren gelassenen Lebensströme hatten sich unkontrolliert entladen, die beiden ungleichen Feindinnen in einem jähen Ruck auseinandergetrieben. Durch den Schleier brennenden Schmerzes sah Ylenavei die Drow wanken, verpürte Übelkeit, als der lodernde Blick ihrer roten Augen sie erneut traf.

"Deine Gegenwehr ist sinnlos... das Gift in deinen Venen wird dir ohnehin in wenigen Minuten die Sinne rauben..."

Die Verachtung in diesen Worten traf die junge Druidin ebenso wie der Inhalt und schürten eine Welle verzweifelten Zorns. Erinnerungen an Gift der Drow und die unerträgliche Hilflosigkeit in der Finsternis Winds überrollten sie mit Grauen und öffneten ihren Geist einem schier urgewaltigen NEIN.

Ylenavei spürte wie die Erde zu beben begann, als sämtliche Ströme der Umgebung sie zu durchdringen schienen. Ihr Leib missachtete den Schmerz der frischen Wunden, als ihre Hände sich zu Fäusten ballten, ihr Geist sich dem tosenden Rauschen des Widerstandes gegen alle Bedrohung hingab. Mit einem weiteren NEIN, dass der Quelle selbst zu entspringen schien, stiessen die Ströme in den Erdboden hinein. Fels und Erde bäumten sich aufstöhnend unter der hereinbrechenden Kraft, barsten mit vernichtendem Krachen entzwei. Ylenaveis fiebrige Sinne gewahrten Alauniira in Schrecken an das aufschwingende Gartentor geklammert, welches sich bereits aus den Angeln über den Erdspalt neigte. Dann brach das Tor aus der Verankerung, und mit einem gellenden Aufschrei verschwand die Drow in dem Abgrund.

Die brennenden Ströme brachen sich bahn, rissen an Ylenavei, rissen sie hinfort. Glühendes Gestein schoss aus dem Spalt, als die Welt sich zu drehen begann, und als ein Schwall heisser Luft sie erfasste, schwanden der jungen Waldelfe die Sinne.

Es war nicht die erlösende Leere, die sie umfing, wie sie sonst auf Überlastung folgte. Eine erdrückende Finsternis schloss sie ein, hielt sie reglos, wehrlos, während die hasserfüllte Stimme Alauniiras, ihrer Peinigerin, auf sie eindrang. Ylenavei hatte keine Stimme, die ihre Schmerzen hätte äussern können, als die sengenden Stabhiebe sie trafen...oder waren das Erinnerungen? Die Finsternis schien endlos, zeitlos, ausweglos. Da rann eine helle, freundliche Stimme zu ihr, getragen von belebenden Strömen...Eyela? Hier?

"Komm zurück...komm zurück zu uns...", schien Eyelas Stimme sanft zu rufen. Ylenavei gewahrte ihren Leib, der sich der Finsternis zu entwinden suchte, dem Ruf der vertrauten Stimme zu folgen suchte, spürte in drückender Hitze den Zorn ihrer Feindin, die erneut nach ihr griff, ihren Rücken in sengendes Inferno tauchte, dass sie erneut zu verschlingen drohte... Eyela liess nicht los, sondern rief sie weiter, und flösste ihrer dürstenden Kehle mit sanfter Beharrlichkeit Flüssigkeit ein. Langsam rückten Alauniiras Zorn und die Pein der jungen Druidin in die Ferne, schrumpften auf ein dumpfes Ziehen im Arm zusammen.

Als Ylenavei nach einer gefühlten Ewigkeit die schweren Lider hob, liess das erste Licht eines neuen Morgens Eyelas müde Augen in Erleichterung schimmern. Ihr Lehrmädchen sass auf der Bettkante und legte ihr sacht eine Hand auf die Stirn. "Das Fieber ist fort", richtete die rothaarige junge Elfe an jemanden hinter ihr, ehe Ylenavei ihr warmes Lächeln gewahrte. "Es alles sa...Ihr seid in Sicherheit, und werdet wieder ganz gesund", erklärte Eyelas sanfte Stimme. Das Haus der Heilung nahm im Bewusstsein der erschöpften Druidin Gestalt an, und sie sah, wie Henyai, der Kräuterheiler, seine Hand auf Eyelas Schulter legte. "Und deshalb übernehme nun ich, und Ihr geht Euch ausruhen", hörte sie den Heiler zu ihrem Lehrmädchen  sagen. "Deiha si....", rann es Ylenavei leise von den Lippen. Für mehr fand sie noch keinen Kraft, doch mehr brauchte es nicht, offenbarte ihr Eyelas liebevoller Blick.

Später, als sie in friedlichem Schlaf zu neuen Kräften gefunden hatte, berichteten Henyai und Eyela, wie Cyrillion, der Leibwächter auf dem Hüttendach, der nicht gewagt hatte im Handgemenge auf seine Allleya zu schiessen, nach dem kurzen Kampf die Wunden der bewusstlosen Druidin versorgt hatte, wie das panische, entflohene Gaman Eyela über den Weg gelaufen war und sie zu der alten Hütte geführt hatte, wie Ylenaveis Schülerin sie mit Cyrillions Hilfe ins Haus der Heilung gebracht hatte. Sie gaben den Bericht des Allleyasai von dem Kampf wieder, der ihnen den entscheidenden Hinweis geliefert hatte, dass ein Gift für das Fieber verantwortlich sein mochte, welches in so untypischer Weise von Ylenaveis ausgelaugtem Leib Besitz ergriffen hatte, und sie brachten ihre Erleichterung zum Ausdruck, dass ein Gegengift-Elixier aus Gildins Vorräten genügt hatte um das Gift zu neutralisieren und das Fieber über Nacht abklingen zu lassen.

Langsam kam der jungen Druidin zu Bewusstsein, dass sie ihre gefürchtete Feindin wahrhaftig hatte stürzen sehen. Alauniira war nicht mehr, verschlungen von dem Zorn der Erde. Alle Schrecken, die in Ylenaveis Geist darauf folgten, waren ihren eigenen Erinnerungen entsprungen, derer sich das Gift der Drow-Klinge bemächtigt und sie in Fieberträumen zu neuem Leben erweckt hatte; Erinnerungen, und nicht mehr. Es würde Zeit brauchen, bis die Spuren der neu aufgewühlten Erinnerungen gänzlich heilen würden, doch nun, da die Zeit der schwärenden Furcht ein Ende hatte, mochte ihre Seele endlich den Frieden finden, welcher der erste Schritt zur Heilung war.




Ylenavei

#13
Leise geworden war es in den Wäldern von Yew, als der erste Schnee seine weisse Decke über alles Leben darin gebreitet hatte. Einmal mehr hatte sich der Winter eingestellt, ging ein Zyklus der Quelle allen Lebens seinem Ende zu.

Während draussen der Frost regierte, war es in Ylenaveis Heim behaglich warm. Ein Feuer knisterte im offenen Kamin, als eine grosse, gebeugt stehende Gestalt mit einem Schürhaken die brennenden Scheite zurecht rückte. Caradron, der Trog-Hausdiener der jungen Stimme Yews, war eine der wunderbaren Neuerungen, die in den letzten Jahren Einzug in ihr Leben gehalten hatten.

Ylenavei selbst sass an ihrem Schreibtisch in der warmen Stube und blätterte in ihren persönlichen Aufzeichnungen. Mit den pergamentenen Seiten in ihrem Tagebuch wanderten ihre Gedanken zurück in jene Zeit vor wenigen Jahren, als ihr Leben eine - nein, weit mehr als eine - neue Wendung eingeschlagen, als sie sich endgültig von dem Seelenband zu ihrem einstigen Gemahl und kurz darauf von einer alten Feindin befreit hatte.

Auf dem Hügel Allhanas hatte die heilige Quelle selbst das zur Last gewordene Seelenband im Kreise der Geschwister unter den Bäumen gelöst und eine unstillbare Sehnsucht von Ylenaveis Herzen genommen.

...
Die Erinnerung an jene Wärme und Freude, die unseren Kreis erfüllten, ist warme Zuflucht in der mir so fremden Stille, Zuflucht angesichts der Leere, die jenseits dieses heiligen Lichtes lauert.

Sidar ist nicht gekommen. Sidar, um dessentwillen mein Weg über jahrelange Irrfahrt auf den Hügel Allhanas geführt hatte, der mir Hoffnung auf ein neues Leben gab. Er ist nicht da gewesen, als ich mich für die Freiheit entschied ihn vorbehaltlos zu lieben, wie er es verdient. Doch nun bin ich allein, in der Stille meiner Hütte in den Fjorden, und in der neuen Freiheit lauert eine Leere, die sich um so beklemmender ankündigt, da sie mir ganz und gar nicht fremd ist...



Ylenavei strich sich seufzend durch das goldene Haar, als sie diese Zeilen las. Jahre vor diesem Ereignis hatte sie sich Sidar hingegeben, dem jungen Freund und Lehrling, der sie seit ihren frühesten Tagen in Yew durch ihre dunkelsten Stunden begleitet hatte. Sie hatte ihn stets geliebt - wie man einen Bruder liebt - und es war ihr, als hatte Sidar lange Zeit schon weit mehr in ihr gesehen, als eine Schwester. Und er hatte lange Jahre an ihrer Seite ausgeharrt, das Unerreichbare stets vor Augen.

Als Farhedrel, mit dem sie dereinst das Seelenband geteilt hatte, aus ihrem Leben gegangen war, hatte der geduldige Sidar ihr in ihrer Trauer nur all zu bereitwillig Zuflucht in seinen Armen gewährt, und auf der Flucht vor der Einsamkeit hatte Ylenavei versucht, seinen langjährigen Wunsch nach ihr zu erfüllen. Das war nicht recht gewesen, sie war ungerecht gewesen gegenüber ihrem teuren Freund, wusste sie heute. Denn eine gebundene Seele kann nicht loslassen.

Und als sie das nach Jahren, die sie fernab von Yew mit der Suche nach einem Ausweg aus all dem verbracht hatte, endlich begriff, waren die Freundschaft und Treue, die Sidar einst mit ihr verbunden hatten, dahin geschwunden. Sidar war damals nicht gekommen, war gänzlich aus Yew verschwunden, weil sie ihn enttäuscht hatte - weil sie seine Liebe nie in gleicher Weise erwiedert hatte.

Doch dies war der jungen Druidin erst in den folgenden Jahren bewusst geworden. Nach Sidars Verschwinden und dem Sieg über ihre alte Widersacherin Alauniira hatte die Aussicht, den Weg der Allleya, der Stimme Yews, fortan allein gehen zu müssen, sie zunächst hart gemacht, unnahbar, der einfachen Welt der Gemeinschaft entrückt.

Die heilige Quelle jedoch verliess die ihren nicht, und ehe Ylenaveis Seele gänzlich versteinert war, hatte sie ihn geschickt: Gewin Argetlam, den hochelfischen Magier-Meister und Ratsherrn von Magincia. Eines Tages hatte er unvermittelt vor ihrem Gartentor gestanden - Ylenavei wusste nicht mehr zu sagen, was ausser Allhanas Wink ihn damals eigentlich hergeführt hatte - und alte, sehr alte Erinnerungen geweckt - die Erinnerungen der herumstreunenden Druiden-Schülerin ohne Amt und Würden, die sie einst gewesen war, als sie Gewin erstmals begegnet war. Damals war der Hochelf ihr arrogant erschienen, unnahbar für ein einfaches Geschöpf wie sie, hart...

Und als die Druidin und Stimme Yews ihn nun wieder vor sich sah, erblickte Ylenavei sich selbst im Spiegel. Auch Gewin ging den Weg einer Stimme seines Volkes, und nach allem, was sie damals wusste, hatte auch er schwere Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Und doch spürte sie - deutlicher denn je - dass sich unter seinem so gehärteten Äusseren eine empfindsame Seele verbarg.

Wie von selbst kamen sie ins Gespräch, erzählten einander von ihren unterschiedlichen und doch so ähnlichen Leben, teilten ihre Einsamkeit, ihren Kummer, ihre grössten Schrecken, hielten einander fest, hörten zu, wie nur jemand zuhören kann, dem das Geschilderte selbst widerfahren ist, weinten miteinander und spendeten sich Trost.

Und schliesslich fanden sie erquicklichere gemeinsame Erinnerungen, an die magische Frühlingsnacht der Feierlichkeit zu Ylenaveis neunzigstem Geburtstag, in welcher alle Zwistigkeiten und jeder Unmut ringsum für einige Stunden begraben gewesen zu sein schien. Es berührte Ylenaveis Herz, dass sie beide diese zauberhafte Nacht mit der gleichen Wärme bewahrt hatten - ohne zu ahnen, welche Frucht diese Saat eines Tages tragen sollte.

Denn wie die junge Druidin die gemeinsamen Stunden mit Gewin mehr und mehr genoss, wie sie sich ihren Besuchen auf Magincia oder den seinen in Yew zunehmend entgegensehnte, schwanden Leere und Einsamkeit, wich die Härte von ihrer Seele und gab Raum für innige Gefühle, die der Hochelf zu ihrer grössten Freude voll und ganz erwiederte.


Mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen strich Ylenavei nun über ihre - zweifellos spärlichen, aber dafür um so überschwänglicheren - Aufzeichnungen aus jenen Tagen. Ihre Beziehung zu Gewin hatte nicht so einfach werden sollen, wie sie damals gehofft hatte. Doch der Umstand, dass sie allem Verdruss zum Trotz bis heute überdauert hatte, machte sie in ihren Augen wunderbarer und fester denn je. 

Ylenavei

Der Lauf der Welt selbst hatte für ihre junge Liebe zur Zerreissprobe werden sollen. Das Geschehen zwischen den Reichen war von Zwist bestimmt gewesen. Unter den Menschen im Reich Britain hatte sich eine Welle der Abneigung gegen die elfischen Völker ausgebreitet, genährt von religiösen Eiferern, die alles und jeden ausserhalb ihrer Glaubenshierarchie als minderwertig betrachtet hatten. Der König Britains hatte bis zuletzt in Freundschaft zu seinen Nachbarn gehalten, war jedoch unter dem Druck jener, die sich von allem Nichtmenschlichen abzuschotten suchten, zusehends schwächer geworden.

Ein Umsturz war schliesslich unvermeidlich geworden. Es hiess, der König sei schliesslich in geistiger Umnachtung versunken und zwecks der Sicherung der Ordnung aus entthront worden. Doch Ylenavei hatte diese Nachricht nie wirklich geglaubt - nicht zuletzt, weil anstelle von Ordnung noch grössere Unruhe auf die Entthronung gefolgt war. Ein Rat aus Stadtältesten hatte die Regierung des Menschenreiches übernehmen sollen, doch waren mit den Vertretern der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch die Zwistigkeiten, die eben diese spalteten, zusammengekommen, sodass die Menschen sich in ihrer Zerstrittenheit selbst bis zur Handlungsunfähigkeit lähmten.

So war unausweichlich, dass der Rat auch bei den Nachbarn Britains nicht wohl gelitten war. Während die Stimme Yews ihr wichtigstes Ziel - Verständigung zwischen den Völkern - lange nicht hatte aufgeben wollen und den Rat der Menschen immer wieder um Vernunft ersucht hatte, war Gewin als Vertreter Magincias ihm mit offenem Groll begegnet, der nicht zuletzt von wesentlich älterem Unfrieden zwischen den Vertretern beider Völker genährt worden war.

Und als wären Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit dem Rat von Britain nicht genug Last für die junge Verbindung ihrer Herzen gewesen, erschien in jenen Tagen Lasyr von Vesper auf Drakovia, bestrebt, sein einstiges Reich mit Hilfe seiner Nachbarn wieder aufzubauen.

Unversehens hatte Ylenavei sich im schmerzlichsten Zwiespalt ihres Lebens wiedergefunden. Die Kraft der Vielfalt - Verständigung, Zusammenarbeit zwischen den Völkern war das mächtigste, das eine Mittel, um den verderbenden Kräften des Einen Dunklen die Stirn zu bieten, war ihr Weg gewesen, sich ihrer Bestimmung zu stellen, seit sie diese kannte. Wie hätte sie Lasyr von Vesper, der von sich aus Verständigung suchte, nach den fruchtlosen Bemühungen um Britain da zurückweisen können?  Es hatte ihr schier das Herz zerrissen, Gewin durch diese Politik - denn mehr war es nicht, was sie mit dem Herrn von Vesper verband - persönlich zutiefst gekränkt zu erleben. Wie sehr hatte sie darum gerungen, den alten Hass, welchen allein die Namen von Reich und Fürst entfachten, zu besänftigen...

Es war eine unlösbare Aufgabe gewesen. Wie bei so vielen alten Fehden war die Ursache der gewohnten Feindschaft nicht mehr aufzudecken. Und als nach Wochen voll Kummer, Streit und Tränen der Herr von Vesper unvermittelt alle Beziehungen zu seinen waldelfischen Nachbarn aufkündigte, war dies einer unendlichen Erleichterung gleich gekommen.

Ylenavei atmete tief durch, als sie an jene stillen Tage zurückdachte. Die Reiche hatten sich zerstritten, ihre Völker sich hinter ihre Grenzen zurückgezogen. Lasyr war verschwunden, und ohne ihn hatte Vesper sich rasch in sein Dasein als herrenlose Ansiedlung einiger Bauern und Fischer gefügt. Britain war in seiner Lähmung verstummt, und die Geschwister von Yew zogen sich aus der zerstrittenen Welt in ihre Wälder zurück. Und Gewin war fort. Geflohen vor Kummer und Enttäuschung, hatte Ylenavei geglaubt. Und die Stimme ging ihren Weg am Ende doch allein.


In den langen, stillen Jahren, die folgten, hatte die junge Druidin Ylenavei sich um so inniger Allhana, der heiligen Quelle allen Lebens, zugewandt, und Allhana hatte sich als Quell des Trosts erwiesen. Die Ströme des Lebens, das zu bewahren sie sich einst verschrieben hatte, wuschen Kummer und Sehnsucht langsam fort, und die Einsamkeit in ihrem Herzen wurde von der Gewissheit getilgt, dass sie unter Allhanas Geschöpfen niemals verlassen sein würde.

Und an einem Tag des vollkommenen Friedens hatte Gewin plötzlich wieder vor dem Gartentor gestanden. Zurück von einer langen Reise war er voller Hoffnung gewesen, in liebenden Armen ein warmes Willkommen zu finden. Und Ylenavei hatte die Last der vergangenen Jahre endgültig fahren gelassen und dieses wunderbare Geschenk Allhanas von ganzem Herzen angenommen...

Voller Wärme lächelte die Druidin nun, als ihre Gedanken wieder in der Gegenwart ankamen. Dieser wundervolle Tag war im vergangenen Herbst gewesen, und seither genossen sie und Gewin die stillen Wintertage gemeinsam vor dem Kamin in Yew oder an der milderen Luft Magincias, wann immer ihre Pflichten es ihnen erlaubten. Nach allem Leid und Mühen schenkte Allhana ihnen endlich wahrhaft gute Tage. Und ginge es nach Ylenavei, so mochten diese Tage niemals enden.